Rz. 171
Eine erstmals im zweiten Rechtszug erfolgende Klageänderung (auch in Gestalt einer – hilfsweisen – Klageerweiterung), Aufrechnungserklärung oder Widerklage ist grundsätzlich nur zulässig, wenn entweder der Gegner einwilligt – was bei rügeloser Einlassung vermutet wird (§ 267 ZPO) – oder das Berufungsgericht sie für sachdienlich hält (§ 533 Nr. 1 ZPO) und sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat (§§ 533 Nr. 2, 529 ZPO). Hinsichtlich der letztgenannten Voraussetzung gelten die vorstehend aufgezeigten Grundsätze, siehe daher oben Rdn 134 ff. Eine Zurückweisung des danach zulässigen Vorbringens zur Begründung einer Klageänderung oder -erweiterung als verspätet, scheidet dagegen aus. Die verfahrensfehlerhafte Zulassung einer Klageänderung, Aufrechnungserklärung oder Widerklage kann mit der Revision nicht geltend gemacht werden.
Rz. 172
Die Vorschrift (§ 533 ZPO) ist auf eine Parteiänderung oder Parteierweiterung entsprechend anwendbar. Ein Abstehen vom Urkundenprozess (§ 596 ZPO) ist – im Berufungsverfahren – in entsprechender Anwendung der Vorschriften über die Klageänderung zulässig, mit der Wirkung, dass der Rechtsstreit im zweiten Rechtszug nunmehr im ordentlichen Verfahren anhängig ist.
Rz. 173
Auf die gesetzlich privilegierten Änderungen des Klagebegehrens, die nicht als Klageänderung anzusehen sind (§ 264 ZPO), finden die berufungsrechtlichen Beschränkungen (§ 533 ZPO) dagegen keine Anwendung. Dies gilt insbesondere für den Übergang von einer Feststellungs- auf eine auf denselben Lebenssachverhalt gestützte Leistungsklage, bei dem es sich lediglich um eine Antragserweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) handelt. Der umgekehrte Übergang von einer Leistungs- auf eine auf denselben Lebenssachverhalt gestützte Festellungsklage ist als bloße Beschränkung des Klageantrags (§ 264 Nr. 2 ZPO) ebenfalls privilegiert. Daher stellt auch der mit einer einseitigen Erledigungserklärung verbundene Übergang vom ursprünglichen Leistungsbegehren auf die Feststellung der Erledigung eine privilegierte Änderung dar, die deshalb – selbst dann, wenn die materielle Erledigung bereits in erster Instanz eingetreten war und eine Erledigungserklärung auch schon dort hätte erfolgen können (dann allerdings gegebenenfalls mit der Kostenfolge nach § 97 Abs. 2 ZPO) – im Berufungsrechtszug zulässig ist. Die Vorschrift (§ 533 ZPO) betrifft auch nur die Aufrechnung einer Partei selbst, nicht deren Rechtsverteidigung mit der Aufrechnung eines Dritten oder der Aufrechenbarkeit gegenseitiger Ansprüche. Soweit hierdurch weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich werden, sind diese daher vom Berufungsgericht zu treffen.
Rz. 174
Eine Klageänderung in zweiter Instanz setzt eine zulässige Berufung und damit insbesondere die Geltendmachung der Beseitigung der Beschwer durch die angefochtene Entscheidung voraus, siehe hierzu oben Rdn 28.
Rz. 175
Eine erstmals in der Berufungsinstanz vorgenommene – quantitative – Klageerweiterung (nicht aber eine bloße zulässige Erweiterung des Berufungsangriffs im Rahmen der Beschwer, siehe auch oben Rdn 120) oder dort erstmals erhobene Widerklage verlieren ihre Wirkung (in entsprechender Anwendung von § 524 Abs. 4 ZPO), wenn das Berufungsgericht die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückweist (§ 522 Abs. 2 ZPO). Dies gilt auch für einen erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag. Eine Zurückweisung durch Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) scheidet allerdings ggf. aus, wenn der modifizierte Antrag auf einen vom Berufungsgericht erteilten Hinweis zurückgeht: Stützt das Berufungsgericht in einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO seine Rechtsauffassung auf einen Gesichtspunkt, den der Berufungskläger erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, muss diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden (§ 139 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die hierdurch veranlassten neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel und Antragsänderungen dürfen nicht zurückgewiesen werden. Nichts anderes gilt, wenn der Kläger die Klage in der Berufungsinstanz nach erstinstanzlicher Klageabweisung mit Blick auf den Abweisungsgrund umstellt.