Rz. 20
Im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (seit 1.1.2010) zu Island (seit 1.5.2011), Norwegen (seit 1.1.2010) und der Schweiz (seit 1.1.2011) regelt als völkerrechtlicher Vertrag das Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (LugÜ II) die internationale Zuständigkeit vorrangig vor dem nationalen Recht. Inhaltlich entspricht das LugÜ II weitgehend der EuGVVO a.F.; die inhaltlich (auch) mit der Neufassung der EuGVVO übereinstimmenden Vorschriften des LugÜ II werden in der Kommentierung (Rdn 26 ff.) jeweils mitbenannt.
Rz. 21
Das LugÜ II enthält – ebenso wie die EuGVVO – "Befolgungsnormen", die die direkte internationale Zuständigkeit des im Erkenntnisverfahren angerufenen Gerichts regeln (siehe oben Rdn 1, 3, 3 und 3). Es ist – für die Mitgliedstaaten der EU – Bestandteil des europäischen Gemeinschaftsrechts (Art. 216 AEUV). Auslegungsfragen können oder – bei letztinstanzlichen Entscheidungen – müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten der EU daher auch hier dem EuGH vorlegen (Art. 267 AEUV; siehe oben Rdn 21). Andere Zeichnerstaaten des LugÜ II können sich an einem Vorlageverfahren (nur) beteiligen. Die Rechtsprechung des EuGH zu EuGVVO ist auch bei der Auslegung des LugÜ II heranzuziehen.
Rz. 22
Für zeitlich nicht in den Anwendungsbereich des LugÜ II fallende, weil vor dessen Inkrafttreten erhobene Klagen (Art. 63 LugÜ II) ist das – inhaltlich abweichende – Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 (LugÜ I) zu beachten.
Rz. 23
Ist weder der Anwendungsbereich der EuGVVO noch des LugÜ II eröffnet, so greifen zunächst – sofern vorhanden – Regelungen über die internationale Zuständigkeit in multi- oder zumindest bilateralen Abkommen und erst dann die nationalen Vorschriften.
Rz. 24
EuGVVO (Art. 71 EuGVVO) und LugÜ II (Art. 67 LugÜ II) lassen darüber hinaus völkerrechtliche Übereinkommen unberührt, denen die Mitgliedstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen regeln. Die Anwendung dieser Übereinkommen darf aber nicht die Grundsätze beeinträchtigen, auf denen die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen in der EU beruht, was auch bei der Auslegung der Übereinkommen durch nationale Gerichte zu berücksichtigen ist.
Rz. 25
Für das Unfallhaftpflichtrecht seien insbesondere die folgenden Abkommen genannt:
▪ |
Das Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften für die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.1999 (MontÜbk) und – soweit das MontÜbk mangels Ratifizierung (noch) keine Anwendung findet – das Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12.10.1929 (WA) enthalten Regelungen über die internationale Zuständigkeit bei Schadensfällen im Luftverkehr (siehe oben § 6). Art. 33 Abs. 1 MontÜbk betreffend Schadensersatzklagen regelt nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit. Werden Ansprüche sowohl auf das MontÜbk als auch auf eine unionsrechtliche Grundlage (insbesondere die Fluggastrechte-VO) gestützt, finden hinsichtlich letzterer die Zuständigkeitsregelungen des MontÜbk keine Anwendung; insoweit greift vielmehr die EuGVVO (Rdn 26 ff.). Materiell sind die Bestimmungen des MontÜbk im Gebiet der EU durch die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9.10.1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr umgesetzt. |
▪ |
Für Streitigkeiten aus grenzüberschreitenden Speditions- und Landfrachtverträgen enthält das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr vom 19.5.1956 (CMR) Bestimmungen zur internationalen Zuständigkeit (Art. 31, 39 Abs. 2 CMR). Art. 31 Abs. 2 CMR enthält eine abschließende Regelung über die Wirkungen anderweitiger Rechtshängigkeit i.R.d. CMR. Umstritten ist, ob insoweit eine früher anhängig gemachte negative Feststellungsklage (§ 26 Rdn 179) Sperrwirkung gegenüber einer späteren Leistungsklage entfaltet, was grundsätzlich zu verneinen ist. Etwas anderes gilt allerdings, wenn es sich um parallel anhängige Verfahren in Mitgliedstaaten der EU handelt. Denn dann ist Art. 71 EuGVVO dahin auszulegen, dass dieser angesichts der in Art. 29 EuGVVO getroffenen Regelung (siehe unten Rdn 51 f.) einer Auslegung von Art. 31 Abs. 2 CMR entgegensteht, wonach eine negative Feststellungsklage in einem Mitgliedstaat nicht denselben Anspruch betrifft wie eine wegen desselben Schadens zwischen denselben Parteien oder ihren Rechtsnachfolgern in einem anderen Mitgliedstaat anhängig gemachte Leistungsklage. Die für Seefrachtverträge einschlägige United Nations Co... |