Dr. iur. Berthold Hilderink
Rz. 287
Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, gilt gem. § 140 BGB das Letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. § 140 BGB gilt nicht nur für zweiseitige, sondern auch für einseitige Rechtsgeschäfte wie die Kündigung. Die Rechtsfolgen des Rechtsgeschäftes, in welches ein unwirksames umgedeutet werden soll, können allerdings über die Rechtsfolgen des beabsichtigten unwirksamen Geschäftes nicht hinausgehen. Zu unterscheiden sind die beiden Fragen, ob eine Umdeutung überhaupt angezeigt erscheint, weil nämlich anzunehmen ist, dass die Erklärenden das in dem unwirksamen implizit enthaltene Rechtsgeschäft gewollt hätten, und ob dieses implizit gewollte Rechtsgeschäft seinerseits wirksam ist.
Rz. 288
Beide Fragen sind vom Gericht von Amts wegen zu prüfen. Für die gerichtliche Beschäftigung mit der ersten Frage ist nur Voraussetzung, dass die Parteien im Prozess die Tatsachen vorgetragen haben, aus denen sich ergibt, dass auch das implizit enthaltene Rechtsgeschäft gewollt und dies dem Erklärungsempfänger erkennbar war. Einer förmlichen Berufung auf eine Umdeutung bedarf es nicht. Nach Aufhebung des früheren § 11 Abs. 2 KSchG a.F. ist dies allgemeine Meinung (vgl. BAG v. 13.8.1987 – 2 AZR 599/86, NZA 1988, 129 = NJW 1988, 581 = BB 1988, 568 = DB 1988, 813 = AP Nr. 3 § 6 KSchG 1969; BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00, NJW 2002, 2972; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigungsschutz, Rn 335, 1170). Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 KSchG a.F. bestimmte, dass eine unwirksame außerordentliche Kündigung im Zweifel nicht als Kündigung zum nächstzulässigen Termin galt, sodass der Arbeitgeber sich auf eine Umdeutung ausdrücklich berufen musste. Haben die Parteien hingegen die für eine Umdeutung erforderlichen Tatsachen nicht vorgetragen, erforscht das Gericht den Sachverhalt wegen des im Urteilsverfahren geltenden Verhandlungsgrundsatzes nicht von Amts wegen. Das Gericht muss jedoch gem. § 139 ZPO auf die Möglichkeit einer Umdeutung hinweisen und den Parteien Gelegenheit zu entsprechendem Tatsachenvortrag geben (im Ergebnis h.M., vgl. BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 310/00, NJW 2002, 2972; KR/Friedrich, Rn 82 ff.; v. Hoyningen-Huene/Linck, Rn 39).
Rz. 289
Das Gericht hat allerdings nur über die durch Umdeutung gewonnene ordentliche Kündigung zu entscheiden, wenn sich der Kläger gegen die durch Umdeutung gewonnene ordentliche Kündigung auch wehren möchte. Das Gericht ist an den Klageantrag gebunden (§ 308 Abs. 1 ZPO) und der Kläger bestimmt den Streitgegenstand des Kündigungsschutzprozesses. Er hat deshalb die Wahl, ob er nur die außerordentliche Kündigung oder auch die durch Umdeutung gewonnene ordentliche Kündigung angreift. Der Kläger muss dies – ggf. nach richterlichem Hinweis gem. § 139 ZPO – durch die Formulierung seines Klageantrages oder durch einen entsprechenden Tatsachenvortrag klarstellen.
Verzichtet der Arbeitnehmer darauf, die durch Umdeutung gewonnene ordentliche Kündigung anzugreifen, entscheidet das Gericht nur über die außerordentliche Kündigung. Bei deren Unwirksamkeit ist der Klage stattzugeben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet wurde.
Greift der Kläger jedoch zudem die durch Umdeutung gewonnene ordentliche Kündigung an, muss das Gericht auch über die ordentliche Kündigung entscheiden. Ist diese ebenfalls unwirksam, so stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die – durch Umdeutung gewonnene – ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist (KR/Friedrich, Rn 92; v. Hoyningen-Huene/Linck, Rn 41). Hält das Gericht hingegen die ordentliche Kündigung für wirksam, stellt es fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht zum Wirkungszeitpunkt der außerordentlichen Kündigung, sondern erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufgelöst worden ist und weist die Klage i.Ü. ab (KR/Friedrich R. 94; v. Hoyningen-Huene/Linck, Rn 51).