Rz. 274

Das SchwbG v. 26.8.1986 (BGBl I, 1421, ber. 1550) ist durch Gesetz v. 19.6.2001 (BGBl I, 1046) aufgehoben und – soweit arbeitsrechtlich von Bedeutung – ohne inhaltliche Änderungen mit Wirkung v. 1.7.2001 in das SGB IX überführt worden. Am 1.1.2018 trat im Zuge der zweiten Stufe des Bundesteilhabegesetzes eine komplette Neufassung des SGB IX in Kraft. Bei der Entlassung schwerbehinderter Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 2 SGB IX = vormals § 1 SchwbG) und den diesen Gleichgestellten (§ 2 Abs. 3 SGB IX = vormals § 2 SchwbG) beträgt die Kündigungsfrist – soweit keine längere Frist vorgeschrieben ist – mindestens vier Wochen (§ 169 SGB IX; vor dem 1.1.2018: § 86 SGB IX = vormals § 16 SchwbG), wenn das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat.

 

Rz. 275

Da die Kündigungsfrist des § 169 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 86 SGB IX = vormals § 16 SchwbG) vom Gesetzgeber im öffentlichen Interesse geschaffen worden ist, hat sie einseitig zwingenden Charakter und darf deshalb weder durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen noch durch Arbeitsverträge zulasten des Arbeitnehmers verkürzt werden. Spricht der schwerbehinderte Arbeitnehmer selbst eine Kündigung aus, gilt § 86 SBG IX nicht. Es ist deshalb zulässig, zugunsten von Schwerbehinderten oder Gleichgestellten eine kürzere Kündigungsfrist als für den Arbeitgeber zu vereinbaren. Da die Frist des § 169 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 86 SGB IX) nur eine gesetzliche Mindestkündigungsfrist darstellt, tritt sie ausschließlich an die Stelle einer gesetzlich oder vertraglich kürzeren Frist. Längere Kündigungsfristen (z.B. kraft Gesetzes, aufgrund eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung sowie aufgrund des Arbeitsvertrages) haben Vorrang ggü. § 169 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 86 SGB IX). Sobald also die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB oder individual- oder kollektivrechtlich vereinbarte Kündigungsfristen von einer mehr als vierwöchigen Dauer auf das Arbeitsverhältnis eines Schwerbehinderten oder Gleichgestellten Anwendung finden, sind diese mit dem anwendbaren Kündigungstermin (§ 622 Abs. 2 BGB) zu beachten, sodass von diesem Zeitpunkt an § 169 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 86 SGB IX) wegen der längeren Kündigungsfristen bedeutungslos wird.

 

Rz. 276

Durch das KündFG ist § 16 SchwbG a.F. (nunmehr § 169 SGB IX; vor dem 1.1.2018: § 86 SGB IX) nicht geändert worden. Auch wenn tarifvertragliche Regelungen für die Entlassung branchenspezifische, verfassungsgemäße Grundkündigungsfristen von 6 Werktagen oder 2 Wochen ohne Kündigungstermin vorsehen, so ist wegen der Regelung des § 622 Abs. 4 S. 1 BGB i.V.m. § 169 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 86 SGB IX) gleichwohl nur eine Kündigung mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonates zulässig. § 169 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 86 SGB IX) enthält keine § 622 Abs. 4 S. 1 BGB entsprechende Tariföffnungsklausel, sodass die Mindestkündigungsfrist von vier Wochen stets einzuhalten ist. Andererseits hat der Gesetzgeber die schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigungsrechtlich nicht schlechterstellen und deren Entlassung gerade nicht erleichtern wollen, sodass die beiden in § 622 Abs. 1 BGB vorgesehenen Kündigungstermine ebenfalls zu beachten sind. Soweit darüber hinaus in Arbeitsverträgen, Tarifverträgen oder Gesetzen bestimmte – für den schwerbehinderten Arbeitnehmer günstigere – Kündigungstermine vorgeschrieben sind, hat der Arbeitgeber diese auch bei der ordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers zu beachten (BAG v. 25.2.1981 – 7 AZR 25/79, NJW 1981, 2831, 2832).

 

Rz. 277

Die Einhaltung der Kündigungstermine gilt aber auch im Fall des § 172 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 89 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX; vormals § 19 Abs. 1 S. 1 und 2 SchwbG), da durch diese Vorschriften weder die vertraglich vereinbarten noch die gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschriebenen Kündigungsfristen abgeändert werden sollen. Gem. § 172 Abs. 1 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IX) erteilt das Integrationsamt die Zustimmung bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen, die nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst werden, wenn zwischen dem Tage der Kündigung und dem Tage, bis zu dem Gehalt oder Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen. Unter der gleichen Voraussetzung soll das Integrationsamt gem. § 172 Abs. 1 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 89 Abs. 1 S. 2 SGB IX) die Zustimmung auch bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen erteilen, die nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt werden, wenn die Gesamtzahl der weiterhin beschäftigten schwerbehinderten Menschen zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 154 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 71 SGB IX) ausreicht.

 

Rz. 278

In der Praxis wird diese Vorschrift vielfach dahin gehend ausgelegt, dass der Arbeitgeber dem Kläger mit einer Frist von drei Monaten zu jedem beliebigen Tag des Jahres kündigen könne. Dies ist ...

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