Rz. 57

Gegen betriebsbedingte Kündigungen wird seltener geklagt als gegen verhaltens- und personenbedingte Kündigungen. Bei betriebsbedingten Kündigungen erleichtert der Grundsatz der freien unternehmerischen Entscheidung die Kündigung. Demgegenüber bestehen hohe Anforderungen bei verhaltensbedingten Kündigungen, z.B. wegen Schlechtleistung, oder bei krankheitsbedingten Kündigungen. Durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt[131] ist die Sozialauswahl und die Herausnahme leistungsstarker Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl und sind Kündigungen im Rahmen einer Betriebsänderung wesentlich erleichtert worden. Der Rechtsanwalt wird – sofern der Sachverhalt dies zulässt – am ehesten den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung empfehlen. Dreh- und Angelpunkt einer wirksamen betriebsbedingten Kündigung ist die unternehmerische Entscheidung. In der Praxis scheitern die meisten betriebsbedingten Kündigungen bereits daran, dass hierzu nicht ausreichend vorgetragen wird.[132]

 

Rz. 58

Prüfungssystematik:

Die ordentliche Kündigung des Arbeitgebers ist sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse (siehe Rdn 59 ff.) bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb (vgl. Rdn 25) entgegenstehen.
Dafür muss eine auf außer- oder innerbetrieblichen Gründen beruhende (siehe Rdn 66 ff.) unternehmerische Entscheidung (a) vorliegen, deren innerbetriebliche Umsetzung (vgl. Rdn 72 ff.) zu einem nachvollziehbaren Arbeitskräfteüberhang und damit zum Wegfall der vom Arbeitnehmer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit führt (siehe Rdn 85 ff.).
Die unternehmerische Entscheidung unterliegt einer Missbrauchskontrolle (siehe unten Rdn 77 ff.). Ändert sich die im Zeitpunkt der Kündigungserklärung zutreffende Prognose nachträglich und besteht weiter ein Beschäftigungsbedarf, kann ein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bestehen (vgl. Rdn 91 ff.).
Der Arbeitnehmer darf nicht auf einem anderen freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden können (siehe unten Rdn 93 ff.).
Darüber hinaus hat der Arbeitgeber bei seiner Auswahlentscheidung soziale Gesichtspunkte ausreichend zu berücksichtigen (siehe Rdn 129 ff.).
[131] BGBl I 2003, 3002.
[132] Vgl. dazu instruktiv Gilberg, NZA 2003, 817 ff.

I. Dringende betriebliche Erfordernisse

1. Unternehmerentscheidung

 

Rz. 59

Mit Unternehmerentscheidung ist die Organisationsentscheidung gemeint, deren praktischer Umsetzung gleichsam zwingend die Kündigungsentscheidung und der wiederum der Kündigungsausspruch folgt. So liegt eine derartige Organisationsentscheidung z.B. darin, dass der Unternehmer sich dazu entschließt, (nur) die IT-Abteilung zu schließen und diese Aufgaben auf ein Fremdunternehmen zu übertragen. Folge dieser Organisationsentscheidung ist, dass den beschäftigten Fach- und Führungskräften gekündigt und ein freier Arbeitsplatz in der Verwaltung mit einem ehemaligen Mitarbeiter der Verwaltung der IT-Abteilung besetzt wird. Rspr. und Lit. gehen davon aus, dass eine betriebsbedingte Kündigung immer auf einer derartigen unternehmerischen Entscheidung beruht. Das BAG versteht hierunter, die Bestimmung der Unternehmenspolitik, die der Geschäftsführung zugrunde liegt.[133] Die Kündigung selbst ist nach der Rspr. des BAG keine unternehmerische Entscheidung in diesem Sinn (vgl. dazu Rdn 77).

 

Rz. 60

Der freien Unternehmerentscheidung in Unternehmen der Privatwirtschaft entspricht im öffentlichen Dienst die Freiheit der Entscheidung des öffentlichen Arbeitgebers bzw. des Gesetzgebers. Der öffentliche Arbeitgeber bzw. der Gesetzgeber kann frei darüber bestimmen, welche Aufgaben mit welchen Haushaltsmitteln erledigt werden sollen. Er legt durch Ausführung des Stellenplanes fest, mit welchen und mit wie vielen Personen die Aufgaben erledigt werden sollen.[134] So kann das betriebliche Erfordernis für eine betriebsbedingte Kündigung darin liegen, dass in einem Haushaltsplan eine konkrete Stelle gestrichen oder ein so genannter kw-Vermerk angebracht wird.[135]

 

Rz. 61

Die Praxis des Rechtsanwalts sieht häufig anders aus. Das Unternehmen kommt typischerweise mit der Vorstellung, Personalkosten zu reduzieren, einen bestimmten Prozentsatz der Arbeitsverhältnisse zu beenden, aus einer bestimmten Abteilung die Hälfte der Mitarbeiter zu entlassen, eine bestimmte Anzahl von Stellen abzubauen oder – das ist wohl der häufigste Fall – einen bestimmten Arbeitnehmer zu entlassen. Regelmäßig wird es zunächst die Aufgabe des Rechtsanwalts sein, die unternehmerischen Vorstellungen als gerichtlich verwertbare Organisationsentscheidung zu fixieren. Diese sollte dann in der gesellschaftsrechtlich vorgesehenen Weise beschlossen werden.[136] Nur dann lässt sich unmissverständlich vortragen, wer wann welche unternehmerische Entscheidung getroffen hat.[137] Nach richtiger Auffassung kann es im Fall der abgeschlossenen Organisationsänderung nicht darauf ankommen, wer genau wann vorher eine Organisationsentscheidung getroffen hat.[138] Aus Gründen der Darlegungs- und Beweislast sowie aus taktischen Gründen ist es dennoch genere...

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