Victoria Nordmann, Dr. Michael Nugel
Rz. 21
Vor der Neufassung des § 7 StVG durch das 2. Gesetz zur Modernisierung des Schadensersatzrechtes war die verschuldensunabhängige und damit sehr weit reichende Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG dadurch abgemildert, dass der Gesetzgeber in § 7 Abs. 2 StVG den sog. Unabwendbarkeitsbeweis zugelassen hatte. Dieser Ausschluss behält seine weit reichende Wirkung nach der Gesetzesänderung lediglich für Unfälle, die vor dem 1.8.2002 eingetreten sind. Für alle Unfälle, die sich ab diesem Tag ereignet haben, findet das "neue" Schadensersatzrecht Anwendung (vgl. Art. 229 § 5 EGBGB). Dieses sieht einen generellen Haftungsausschluss zugunsten des Halters nur noch für höhere Gewalt vor.
Rz. 22
Lediglich für die Fallkonstellation, dass sich ein Unfall ereignet hat, bei dem ein Schaden durch (mindestens) zwei Kraftfahrzeuge verursacht wird, ist ein Haftungsausschluss für den Halter im Fall eines unabwendbaren Ereignisses möglich (vgl. § 17 Abs. 1 StVG). Dieser Haftungsausschluss wirkt aber gem. § 17 Abs. 3 StVG nur im "Innenverhältnis" zu dem anderen betroffenen Kraftfahrzeughalter/-führer. Für Schäden gegenüber Dritten haftet der Halter des Kfz im "Außenverhältnis" weiterhin ohne die Möglichkeit eines solchen Haftungsausschlusses.
Nach § 17 Abs. 3 S. 1 StVG scheidet eine Haftung aus, wenn der Schadenseintritt auch nicht durch die äußerste mögliche Sorgfalt abgewendet werden konnte. Maßgeblich sind die durchschnittlichen Anforderungen eines "Idealfahrers".
Rz. 23
Für den Haftungsausschluss des § 17 Abs. 3 StVG ist ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erforderlich, das erheblich über dem Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.d. § 276 BGB liegt. Zur Feststellung des Fahrlässigkeitsvorwurfs wird lediglich das verkehrswidrige Verhalten im Straßenverkehr dem verkehrsgemäßen gegenübergestellt. Ausgangspunkt der Prüfung des Unabwendbarkeitsbeweises ist demgegenüber eine Abgrenzung der aus dem Betrieb des Kraftfahrzeugs resultierenden typischen Gefahren gegenüber anderen Gefahrenkreisen, die eine Gefährdungshaftung nach ihrem Sinn und Zweck nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lassen.
Rz. 24
Muster 3.7: Unabwendbarkeit i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG
Muster 3.7: Unabwendbarkeit i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG
Unabwendbar i.S.d § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis, das auch durch äußerst mögliche Sorgfalt – nämlich durch sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den persönlichen Maßstab hinaus – nicht abgewendet werden kann. Unabwendbarkeit bedeutet nicht die absolute Unvermeidbarkeit des Unfalls, sondern ein Ereignis, dass bei äußerster Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können (BGHZ 117, 337). Dies erfordert die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrmomente einschließlich erheblicher fremder Fehler (OLG Rostock, Urt. v. 10.12.2010 – 5 U 27/10 = SP 2011, 207). Ein unabwendbares Ereignis liegt demnach vor, wenn ein idealer Fahrer bei idealer Fahrweise mit einem idealen Fahrzeug den Unfall nicht vermeiden und dessen Schadensfolgen auch nicht verringern kann (OLG Celle, Urt. v. 28.3.2012 – 14 U 156/11 = Verkehrsrecht aktuell 2012, 93). Dabei ist der Entlastungsbeweis im Rahmen von § 17 Abs. 3 StVG grundsätzlich erst dann geführt, wenn der Beweisführer alle konkret denkbaren Unfallverläufe entkräften kann, die eine Verantwortung des Halters begründen (OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.4.2014 – 16 U 213/13 = Schaden-Praxis 2014, 406). Die Prüfung darf sich dabei nicht darauf beschränken, ob der Fahrzeugführer sich in der konkreten Situation wie ein Idealfahrer verhalten hat. Vielmehr muss frei von Zweifeln nachgewiesen werden, ob ein Idealfahrer überhaupt in eine solche Verkehrslage geraten wäre (OLG Naumburg, Urt. v. 6.6.2008 – 10 U 72/07 = Schaden-Praxis 2008, 351; vgl. auch LG Wuppertal, Urt. v. 18.12.2014 – 9 S 174/14 – juris).