Rz. 56
Es ist vorgesehen, dass vor einzelnen Entscheidungen des Betreuungsgerichts die Anhörung des Betroffenen zu erfolgen hat, § 278 Abs. 1 FamFG. Die Intensität der Anhörung ist gesetzlich gestaffelt, da sie teilweise erfolgen muss ("die Anhörung hat zu erfolgen") oder lediglich empfohlen wird ("soll"). Teilweise ist die persönliche Anhörung des Betroffenen vorgesehen, kann jedoch auch auf andere Weise (z.B. schriftlich) erfolgen.
a) Gesetzlich geregelte Fälle
Rz. 57
Die Anhörung des Betroffenen erfolgt beispielsweise in folgenden gesetzlich geregelten Fällen:
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vor Anordnung der Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehaltes (§ 278 Abs. 1 S. 1 FamFG) |
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vor Genehmigung der Einwilligung in eine Sterilisation (§ 297 Abs. 1 S. 1 FamFG) |
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vor Verfügungen/Verpflichtungen über Grundstücke (§ 299 FamFG, § 1850 Nr. 1 BGB) |
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vor Veräußerung oder Auflösung eines Geschäfts, Verpachtung eines Gewerbebetriebs (§ 299 FamFG, §§ 1852 Nr. 2, 1847 BGB) |
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vor Verfügungen über Erbrechte, Pflichtteile oder Vermächtnisse (§ 1851 Nr. 1, 2 BGB, § 299 FamFG) |
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sonstige wichtige Geschäfte (§ 299 FamFG, § 1854 BGB) |
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vor Genehmigung einer Einwilligung in gefährliche Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe (§ 1829 BGB, § 298 Abs. 1 S. 2 FamFG) |
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vor der Kündigung oder Auflösung der vom Betroffenen angemieteten Wohnung (§ 1833 Abs. 3 Nr. 1, 2 BGB, § 299 FamFG) |
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vor Eingehung eines Mietverhältnisses über Wohnraum, bei denen der Betreuer als Vermieter auftritt (§§ 1833 Abs. 3 Nr. 3, 1853 S. 1 Nr. 1 BGB, § 299 FamFG) |
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vor Bewilligung einer Betreuervergütung aus dem Vermögen des Betreuten (§§ 1876, 1875 BGB) |
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vor Aufnahme eines Darlehens oder Eingehung einer Bürgschaft (§ 1854 Nr. 2, 3 BGB) |
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vor Genehmigung gefährlicher ärztlicher Maßnahmen (§ 297 FamFG, §§ 1829, 1830 BGB) |
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vor Unterbringung oder unterbringungsähnlichen Maßnahmen (§ 319 Abs. 1 FamFG, § 1831 BGB) |
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vor der Bestellung eines neuen Betreuers bzw. der Entlassung des Betreuers gegen den Widerspruch des Betreuten (§ 296 FamFG) |
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nach § 26 FamFG im Rahmen der Amtsermittlungspflicht als Ausgestaltung der Pflicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 GG, jeweils einzelfallabhängig. |
b) Verfahrenspfleger
Rz. 58
Entscheidet das Betreuungsgericht dahingehend, dass von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll, so ist regelmäßig ein Verfahrenspfleger zu bestellen (§ 276 Abs. 1 FamFG). Der Bestellung eines Verfahrenspflegers bedarf es auch, wenn der Betroffene sich zu gestellten Anträgen (z.B. Anbringung eines Bettgitters) nicht äußern kann oder den Umfang der beantragten Maßnahmen nicht erkennt, wenn eine Totalbetreuung eingerichtet werden soll oder ein Einwilligungsvorbehalt für die vollständigen Vermögensangelegenheiten angeordnet werden soll.
Der Bestellungszeitpunkt zur Installierung des Verfahrenspflegers ist so zu bemessen, dass jener die Möglichkeit hat, am Anhörungstermin des Betroffenen teilzunehmen, andernfalls ist die Anhörung fehlerhaft. Vor der Bestellung des Verfahrenspflegers wiederum ist rechtliches Gehör zu gewähren.
Rz. 59
Der Verfahrenspfleger hat die Verfahrensstellung des Betroffenen inne. Er kann dessen Recht auf rechtliches Gehör wahrnehmen. Ihm stehen dafür Akteneinsichtsrechte, welche sich auch in die erstellten Sachverständigengutachten fortsetzen, zu.
Er hat ein eigenes Fragerecht bei Anhörungen und das Anwesenheitsrecht bei Beweisaufnahmen. Daher ist er zu diesen gerichtlichen Verfahrenshandlungen zu laden und kann unabhängig vom Betreuten Rechtsmittel einlegen. Streitig ist, ob er zu eigener Ermittlungstätigkeit befugt ist. Er kann jedoch nicht gleichzeitig Betreuer des Betroffenen sein. Seine Bestellung zum Verfahrenspfleger wäre dann unwirksam.
Der Verfahrenspfleger besitzt die Stellung eines gesetzlichen Vertreters, handelt selbstständig und ist weder gegenüber dem Betroffenen noch dem Betreuungsgericht gegenüber weisungsabhängig.
Rz. 60
Da im Rahmen der Verfahrenspflegerbestellung häufig rechtliche Mitwirkungshandlungen und Akteneinsichtsgesuche vorzunehmen sind, liegt in diesem Bereich ein breites Betätigungsfeld für juristisch Ausgebildete, z.B. Rechtsanwälte. Auch wenn die Vergütung nach § 277 Abs. 1, Abs. 2 FamFG, §§ 1875 ff. BGB, §§ 7, 13 VBVG relativ gering ist (33,50 EUR/Stunde zzgl. Auslagenpauschale und MwSt.), ist die Tätigkeit als Verfahrenspfleger für Einblicke in die praktische Umsetzung des Betreuungsrechts wertvoll.