Rz. 29
Der Erforderlichkeitsgrundsatz zur Betreuerbestellung folgt aus §§ 1814 Abs. 3 S. 1, 1815 Abs. 1 S. 3 BGB. Er stellt eine der Leitlinien des gesamten Betreuungsrechts dar. Durch ihn wird die Betreuung sowohl zeitlich als auch sachlich eingeschränkt. Die Frage, ob ein Betreuer zu bestellen ist, ist ebenso am Erforderlichkeitsprinzip zu messen wie der Umfang der Aufgabenkreise, der Auswirkungen der Betreuung und deren Dauer. An der Erforderlichkeit einer Betreuung kann es allerdings im Einzelfall dann fehlen, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit dem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt. Bei der Annahme einer Unbetreubarkeit ist jedoch Zurückhaltung geboten.
Rz. 30
Selbst wenn der Betroffene überhaupt keine seiner Angelegenheiten mehr besorgen kann, gebietet der Erforderlichkeitsgrundsatz dann eine Begrenzung des Aufgabenkreises, wenn für nur einzelne Teilaufgaben ein Fürsorgebedürfnis besteht. Dies kann beispielsweise die Vertretung in einem Scheidungsverfahren, Erledigung von Steuerangelegenheiten, oder bei sonstigen punktuellen Aufgabengebieten (sog. Teilbetreuung) der Fall sein.
Rz. 31
§ 1814 Abs. 3 S. 2 BGB zeigt deutlich, dass eine Betreuung nicht erforderlich ist, soweit der Betroffene einen Bevollmächtigten bestellt hat oder sonst anderweitig Hilfe in Anspruch nehmen kann. Dieses Subsidiaritätsprinzip eröffnet die Möglichkeit, durch eine Vorsorgevollmacht oder andere, eine Betreuung ersetzende Verfügungen einzelne oder alle Aufgabenkreise selbst auf Dritte zu übertragen. Das OLG Köln hatte gegen die herrschende Rechtsprechung argumentiert und eine gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 BtBG öffentlich beglaubigte transmortale Vorsorgevollmacht nach dem Tod des Vollmachtgebers als nicht den Anforderungen des § 29 GBO genügend angesehen. Die Beglaubigung von Unterschriften auf Vorsorgevollmachten durch die Urkundsperson bei der Betreuungsbehörde gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 BtBG genügt laut BGH, der dieser Entscheidung letztinstanzlich widersprochen hat, den Anforderungen des § 29 GBO.
Praxistipp
Wird eine solche Vorsorgevollmacht zur Vermeidung einer Betreuung eingerichtet, sollte darauf geachtet werden, dass diese über den Tod – transmortal – hinaus gilt, andernfalls die Vollmacht mit dem Tod des Vollmachtgebers erlöschen kann.
Bestehen hingegen erhebliche Zweifel an der Redlichkeit des Bevollmächtigten, steht das Vorliegen einer Vorsorgevollmacht der Anordnung einer Betreuung nicht entgegen. Vor allem, wenn zu befürchten ist, dass der Bevollmächtigte die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen konkret gefährdet oder eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet, ist nach der Rechtsprechung des BGH die Anordnung einer Betreuung trotz Vorhandenseins einer Vorsorgevollmacht angezeigt; notfalls ist ein Kontrollbetreuer zu installieren, § 1820 Abs. 3 Nr. 2 BGB (siehe Rdn 35 ff.).