Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 7
Kontaktiert ein Verbraucher einen Rechtsanwalt (z.B. über Anwaltssuchdienste, Google-Recherche etc.) per Telefon, E-Mail oder Fax und bestätigt dieser anschließend das Mandat per E-Mail, Fax und/oder Telefon – waren also der Rechtsanwalt und sein Auftraggeber von der Vertragsverhandlung bis zum Abschluss des Vertrags für ihre Vertragsgespräche und -erklärungen zu keinem Zeitpunkt gleichzeitig körperlich anwesend –, betrifft der Anwaltsvertrag als Fernabsatzvertrag die entgeltliche Erbringung einer Dienstleistung i.S.v. §§ 312 Abs. 1, 312c Abs. 1 BGB, auch wenn dieser individuelle, auf den konkreten Fall abgestimmte Leistungen beinhaltet. Das Unionsrecht sowie Sinn und Zweck der Normierungen verlangen eine weite Auslegung des Anwendungsbereichs der Voraussetzungen.
Die Voraussetzungen hierfür, nämlich ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem, liegen regelmäßig aber nicht schon dann vor, wenn der Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz wie Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält. Ein für den Fernabsatz organisierter Strukturvertrieb setzt vielmehr voraus, dass der Rechtsanwalt nicht nur die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen, sondern dass er sich bewusst dieses Systems bedient hat, um eine Vielzahl von Mandaten in bestimmten Fällen ohne persönlichen Kontakt zu den potentiellen Mandanten und unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu gewinnen.
Soweit der Auftraggeber im Nachhinein einen Widerruf nach §§ 312g Abs. 1, 355 Abs. 1 i.V.m. 312c Abs. 1 BGB erklärt – um keine Gebühren zahlen zu müssen –, muss der Rechtsanwalt im Streitfall darlegen und beweisen, dass seine Vertragsschlüsse nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgen, denn eine fehlende Widerrufsbelehrung hält den Vertrag an sich widerruflich in der Schwebe. Zudem sind auch Ansprüche auf Wertersatz grundsätzlich ausgeschlossen, §§ 357a, 361 Abs. 1 BGB, auch wenn der Rechtsanwalt auf Verlangen des Mandanten seine Leistung längst vollständig erbracht hat.
Rz. 8
Der Verbraucher kann nach § 312d BGB abweichend von § 357 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung nur zu leisten haben, wenn er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Anwalt vor dem Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung seiner Dienstleistung beginnt. Heikel sind speziell Zeithonorarvereinbarungen. Diese haben sich am bislang erbrachten Zeitaufwand zu orientieren; liegt eine Pauschalhonorarvereinbarung vor, ist der Gesamtbetrag entsprechend der bislang durch den Anwalt erbrachten Leistung zu quoteln. Zeithonorarvereinbarungen könnten ggf. nachträglich und völlig unproblematisch durch den Widerruf des Mandanten beseitigt werden.
Rz. 9
Konsequenterweise müsste der Rechtsanwalt also seinen potentiellen Klienten belehren, auf die Rechtsfolge des § 357 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB hinweisen und dessen ausdrückliche Aufforderung für den Beginn der Fallbearbeitung einholen, auch wenn diese Formalien einer zügigen Fallbearbeitung entgegenstehen und ein Widerruf durch Mandanten in der Praxis eher selten sein dürfte.
Rz. 10
Ggf. hilft § 356 Abs. 4 Nr. 2c BGB, wonach das Widerrufsrecht bei einer Dienstleistung auch dann erlischt, wenn der Verbraucher vor Beginn der Erbringung der Dienstleistung seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass sein Widerrufsrecht mit vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer (den Rechtsanwalt) erlischt.