Rz. 51

Mit der Aufgabe des deutschen Wohnsitzes und dessen Verlegung in die Schweiz endet grundsätzlich die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland. Eine Ausnahme besteht dann, wenn ein deutscher Wohnsitz aufrechterhalten wird. In diesem Fall bleibt die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland bestehen, wird allerdings durch das DBA Schweiz/Deutschland zugunsten des schweizerischen Besteuerungsrechts eingeschränkt, sofern die weggezogene Person in Deutschland nicht weiter über eine "ständige Wohnstätte" oder über einen "gewöhnlichen Aufenthalt von mindestens sechs Monaten im Kalenderjahr" verfügt (vgl. Rdn 38 ff.). Bleibt eine derartige steuerliche Anknüpfung in Deutschland bestehen, bleibt die weggezogene Person weiterhin in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, wobei die in der Schweiz bezahlten Steuern angerechnet werden.

 

Rz. 52

Verfügt die weggezogene Person dagegen über einen ausschließlichen Wohnsitz in der Schweiz, entfaltet das DBA Schweiz/Deutschland seine Schutzwirkung, wodurch die aus einer schweizerischen Quelle oder aus Drittstaaten stammenden Einkünfte nicht mehr in Deutschland besteuert werden können. Mit den inländischen Einkünften i.S.v. § 49 Abs. 1 EStG dagegen bleibt die natürliche Person grundsätzlich auch nach dem Wegzug in die Schweiz weiterhin beschränkt steuerpflichtig. Da auch dem Schweizer Steuerrecht das Welteinkommensprinzip zugrunde liegt und damit auch die Schweiz ein Besteuerungsrecht auf diese Einkünfte hätte, regelt das DBA Schweiz/Deutschland den Konflikt zwischen den Besteuerungsrechten Deutschlands und der Schweiz. Das DBA beschränkt gleichermaßen die Besteuerungsrechte der Vertragsstaaten inhaltlich.[70]

 

Rz. 53

Darüber hinaus kann die weggezogene Person der erweiterten beschränkten Einkommenssteuerpflicht gem. § 2 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (AStG) unterliegen. Zu beachten ist, dass die erweiterte beschränkte Einkommenssteuerpflicht unter verschiedenen Voraussetzungen steht. So muss die betreffende Person in ein Niedrigsteuerland weggezogen sein oder dort von einer Vorzugsbesteuerung profitieren. Aufgrund der unterschiedlich hohen Steuersätze in den einzelnen Kantonen (vgl. Rdn 79 ff.) gilt die Schweiz nicht pauschal als Niedrigsteuerland i.S.v. § 2 Abs. 2 AStG. Vielmehr ist ein abstrakter Steuervergleich nach § 2 Abs. 2 AStG durchzuführen, um zu prüfen, ob die Zuzugsgemeinde als Niedrigsteuer“land“ qualifiziert werden kann. Eine Niedrigbesteuerung liegt vor, wenn der anwendbare Steuersatz, bezogen auf ein fiktives Vergleichseinkommen von 77.000 EUR, mehr als ein Drittel geringer ist als bei einer in Deutschland ansässigen natürlichen Person.[71] Eine Vorzugsbesteuerung liegt zudem immer dann vor, wenn mit dem zuziehenden Steuerpflichtigen eine individuelle Pauschalbesteuerung vereinbart wurde. In beiden Fällen steht der steuerpflichtigen Person jedoch der Nachweis offen, durch einen konkreten Belastungsvergleich darzulegen, dass die von ihrem Einkommen insgesamt zu entrichtenden Steuern mindestens zwei Drittel der Einkommensteuer betragen, die sie bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG zu entrichten hätte.

 

Rz. 54

Qualifiziert die Besteuerung am neuen Wohnsitz der in die Schweiz zugezogenen Person als "niedrige Besteuerung" i.S.v. § 2 AStG, so unterliegt diese Person für das Jahr, in welchem die unbeschränkte Steuerpflicht geendet hat sowie für die nachfolgenden zehn Jahre der erweitert beschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 AStG. Damit bleibt die weggezogene Person mit ihren Einkünften i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 EStG, die bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i.S.v. § 34d EStG sind, in Deutschland steuerbar. Art. 4 Abs. 4 DBA Schweiz/Deutschland führt grundsätzlich zu einer Verkürzung der Zehn-Jahres-Frist aus § 2 Abs. 1 S. 1 AStG auf fünf Jahre. Falls aber die natürliche Person pauschal besteuert wird und daher aufgrund von Art. 4 Abs. 6 DBA Schweiz/Deutschland nicht in der Schweiz als ansässig gilt, kommt die Zehn-Jahres-Frist zur Anwendung.[72]

[70] Vogel/Lehner, DBA, Grundlagen, Rn 66.
[71] Bei einem Einkommen von 77.000 EUR beträgt die deutsche Einkommensteuer ca. 23.000 EUR, was einer Belastung von ca. 29,9 % entspricht. Nach Abzug eines Drittels resultiert daraus ein Steuersatz von ca. 19,9 %, der nun den Grenzsatz zur Bestimmung eines Niedrigsteuerlandes gemäß § 2 Abs. 2 Ziff. 1 AStG darstellt (für die Steuerberechnung siehe https://www.bmf-steuerrechner.de/ekst/eingabeformekst.xhtml). Der Betrag von 77.000 EUR ist für den Steuerbelastungsvergleich nach dem Kurs am Anfang des Jahres in die maßgebliche ausländische Währung, vorliegend also in Schweizer Franken umzurechnen. Bei einem Kurs am 3.10.2022 von 0,9691 CHF pro Euro ergibt sich daraus ein Vergleichseinkommen von etwa 74.621 CHF.
[72] EStV, Kreisschreiben Nr. 44 Besteuerung nach dem Aufwand bei der direkten Bundessteuer, 7 f.

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