Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
Rz. 311
Kommen Eheleute zu der Erkenntnis, dass ihre Ehe gescheitert ist und sie geschieden werden wollen, können sie nicht unmittelbar die Scheidung einreichen. Zwar kann eine Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist (§ 1565 Abs. 1 S. 1 BGB). Gleichwohl müssen die Ehegatten mindestens noch ein Jahr voneinander getrennt leben, um geschieden zu werden. Eine Ausnahme bildet lediglich die Situation, dass die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde.
Rz. 312
Diese Möglichkeit der unmittelbaren Scheidung nach dem Zusammenleben der Ehegatten ist nur in extremen Ausnahmefällen gegeben. Die Fortsetzung der Ehe muss für den antragstellenden Ehegatten aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen, § 1565 Abs. 2 BGB. Die Auslegung dessen, was "unzumutbar" ist, wird von der Rechtsprechung eher restriktiv gehandhabt. Jedes mit diesem Partner "Weiter-verheiratet-Sein" muss für den Antragsteller unzumutbar sein.
Rz. 313
Schwere laufende Misshandlungen, Morddrohungen, die Aufnahme einer Tätigkeit als Prostituierte sowie sexuelle Übergriffe gegenüber Kindern führen zur Annahme unzumutbarer Härte für den Antrag stellenden Ehegatten.
Rz. 314
Wie eng die Rechtsprechung die Grenzen zieht, zeigt sich an einer Entscheidung des OLG Braunschweig, wonach auch der dringende Verdacht einer Vergewaltigung und sexuellen Nötigung der Ehefrau keine unzumutbare Härte begründet, wenn wegen räumlicher Entfernung mit Wiederholungen nicht zu rechnen sei.
Rz. 315
Wenn also eine Ehe nicht durch Aufhebung aufgelöst wird, z.B. bei Bigamie (§ 1306 BGB) oder Scheinehe (§ 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB), müssen Eheleute in den sonstigen Fällen mindestens ein Jahr voneinander getrennt leben, selbst wenn sie zu Beginn der Trennung durch entsprechende Erfahrungen und aufgrund von Gesprächen und Auseinandersetzungen während des Zusammenlebens genau wissen, dass ihre Ehe gescheitert ist.
Rz. 316
Den Grund sieht der Gesetzgeber darin, dass Eheleute verpflichtet sind, das Scheitern ihrer Ehe nachzuweisen. Die mindestens einjährige Trennung soll diesen Nachweis ersetzen.
Rz. 317
Es ist zumindest zu fragen, warum ein Ehepaar, das während der Zeit seines Zusammenlebens feststellt, dass es keine ehelichen Gefühle mehr füreinander hat und sich über die Folgen einer Trennung und Scheidung einig ist, gezwungen sein soll, noch ein Jahr zu warten.
Rz. 318
Der Gesetzgeber ist in seiner Begründung widersprüchlich. Auf der einen Seite wird erklärt, nach bestimmter Zeit der Trennung werde das Scheitern der Ehe unwiderlegbar vermutet und hinzugefügt: "Der Richter ist nicht in der Lage, den Grad des Auseinanderlebens treffender zu beurteilen als die Eheleute selbst, wenn sie in der Einschätzung ihrer Situation übereinstimmen." Auf der anderen Seite erklärt der Gesetzgeber, es sei "nicht mit der Freiheit der richterlichen Entscheidung zu vereinbaren, wenn ein Richter gezwungen ist, eine Ehe aufgrund bloßen Zeitablaufs und der übereinstimmenden Erklärung der Ehegatten aufzulösen, obwohl er erkennen könne, dass noch begründete Aussicht auf Versöhnung der Ehegatten bestünde." Entweder ist der Richter nicht in der Lage, den Grad des Auseinanderlebens treffender zu beurteilen als die Eheleute selbst oder aber einem Richter wird die Möglichkeit gegeben, die Ehe eben nicht auf der Grundlage übereinstimmender Erklärungen der Ehegatten aufzulösen.
Rz. 319
Es ist sicher mit der Freiheit der richterlichen Entscheidung zu vereinbaren, wenn ein Gericht dem übereinstimmenden Willen beider Beteiligter genügt. Der Grundsatz der zwingenden Folge aus übereinstimmenden Erklärungen aller Beteiligten ist Grundlage des gesamten Rechtssystems. Er ist auch Grundlage jeder Beendigung eines gerichtlichen Verfahrens durch Vereinbarung der Beteiligten. Außerhalb der Grenzen der Sittenwidrigkeit nach §§ 143, 138 BGB gibt es keine Freiheit der richterlichen Entscheidung etwa darüber, ob er den gefundenen Vergleich zwischen den Beteiligten für angemessen hält.
Im Gegenteil: Es ist die Frage möglich, ob die Einschränkung der Möglichkeit, eine Scheidung durchzuführen, für die Betroffenen nicht gegen die Grundrechte aus Art. 2 GG verstößt. Schließlich müssen Einschränkungen der Grundrechte einen sachlichen Grund haben. Hier ist zu fragen, welches der sachliche Grund für die Einschränkung ist. Die Antwort kann nicht sein: Um noch einmal zu überlegen, ob die Ehe wirklich gescheitert ist oder, wie es in der Begründung des Gesetzgebers heißt:
Zitat
Die Trennung ist erforderlich, um übereilte Scheidungen, insbesondere jüngerer Eheleute, zu verhindern.
Rz. 320
Auch und "insbesondere jüngeren Eheleuten" wird das Recht zugebilligt die Ehe zu schließen, ohne entsprechend einem Trennungsjahr nach Beendigung des Zusammenlebens ein Probejahr vor dem ehelichen Zusammenleben zu absolvieren. Es ist zu fragen, ob es sich nicht um eine gege...