Rz. 10

Ein weiteres Problem ist, dass Erblasser den Zeitraum zwischen der Errichtung der Verfügung von Todes wegen und dem Eintritt des Erbfalls nicht hinreichend bedenken. Insbesondere wird häufig für den Fall des Wegfalls einer als Erbe oder Vermächtnisnehmer bestimmten Person keine Ersatzerben- oder Ersatzvermächtnisnehmerregelung getroffen.[19] Fehlt eine solche Ersatzerbenregelung, dann ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Ersatzerbenbestimmung gewollt war. Die wichtigste Auslegungsvorschrift – wenn ein tatsächlicher Wille nicht ermittelt werden kann – ist dabei § 2069 BGB.[20] Danach ist im Zweifel davon auszugehen, dass beim Wegfall eines Abkömmlings dessen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge Ersatzerben sind. Hierbei gilt es zu beachten, dass § 2069 BGB nur Anwendung findet, wenn es sich um Abkömmlinge des Erblassers handelt.[21]

 

Rz. 11

Nach der Rechtsprechung des BGH ist jedoch im Rahmen der ergänzenden Auslegung der Rechtsgedanke des § 2069 BGB entsprechend heranzuziehen.[22] So wird im Rahmen einer hypothetischen Ersatzerbeneinsetzung § 2069 BGB auch dann angewandt, wenn es sich bei der weggefallenen Person um einen "nahen Angehörigen" (vgl. hierzu § 10 Rdn 60 ff.) des Erblassers gehandelt hat oder wenn ein solch enges Verhältnis zu ihm bestand, dass dieses mit dem eines Abkömmlings vergleichbar ist. Die vom BGH geforderte Andeutung wird hier durch die Einsetzung einer ihm nahestehenden Person als ausreichend empfunden. In der Gestaltung sollten daher die Bestimmungen über die Ersatzerbfolge oder Ersatzvermächtnisnehmer besonders sorgfältig durchdacht werden (vgl. § 10 Rdn 61 ff.).

 

Rz. 12

Die Rechtsprechung[23] geht für die Auslegung von folgenden Grundsätzen aus:

Das Recht der Ersatzerben geht dem Anwachsungsrecht vor (§ 2099 BGB). Deshalb ist zunächst aufgrund Auslegung zu prüfen, ob überhaupt eine Ersatzerbenregelung von den Testierenden gewollt gewesen ist.
Die für die Berufung von Abkömmlingen geltende Auslegungsregel des § 2069 BGB kann im Fall der Berufung von anderen nahen Verwandten, z.B. von Geschwisterkindern, nicht entsprechend angewendet werden.[24]
In einem solchen Fall ist durch Auslegung zu ermitteln, ob in der Einsetzung des Erben zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden kann, die Abkömmlinge des Bedachten als Ersatzerben zu berufen. Dabei ist primär zu prüfen, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments an die Möglichkeit eines vorzeitigen Wegfalls des von ihm eingesetzten Erben tatsächlich gedacht hat und was er für diesen Fall wirklich oder mutmaßlich gewollt hat.
Wenn der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Erblassers nicht festgestellt werden kann, ist eine ergänzende Auslegung in Betracht zu ziehen. Danach ist zu prüfen, was von dem Erblasser zur Zeit der Errichtung des Testaments als gewollt anzusehen ist, wenn er vorausschauend das spätere Ereignis bedacht haben würde.
Ist der Bedachte eine dem Erblasser nahestehende Person, so legt die Lebenserfahrung die Prüfung nahe, ob der Erblasser eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Bedachten gewollt hat oder gewollt haben würde. Entscheidend ist, ob die Zuwendung dem Bedachten als Ersten seines Stammes oder nur ihm persönlich gegolten hat.
Dabei kann die erforderliche Andeutung im Testament schon in der Tatsache der Berufung der ihm nahestehenden Person zum Erben gesehen werden.[25]
Belohnende Motive für die Einsetzung eines Bedachten sprechen möglicherweise aber gegen eine hypothetische Ersatzerbeneinsetzung.[26]
[19] OLG München FamRZ 2014, 514.
[21] Vgl. BayObLG FamRZ 1991, 865.
[25] BGH NJW 1973, 240; BayObLG FamRZ 1997, 641; BayObLG ZEV 1999, 353; BayObLG ZEV 2004, 463; BayObLG ZEV 2007, 93.
[26] OLG München FamRZ 2014, 514.

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