Rz. 131
§ 105 SGB VII entspricht im Wesentlichen dem früheren § 637 Abs. 1 RVO. Er regelt die Haftungsbeschränkung zugunsten anderer im Betrieb tätiger Personen.
Rz. 132
Im Gegensatz zu § 637 RVO, der eine Haftungsbeschränkung nur zugunsten derjenigen vorsah, die demselben Betrieb des Geschädigten angehörten und die durch eine betriebliche Tätigkeit den Schaden verursacht hatten, erweitert § 105 SGB VII die Haftungsbeschränkung zugunsten aller Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebes verursachen, also z.B. auch bei einer Hilfeleistung. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Schaden auf einer gemeinsamen Betriebsstelle eingetreten ist (vgl. hierzu die Ausführungen zu § 106 Abs. 3 SGB VII Rdn 155).
Rz. 133
Beispiel
Ein nicht zum Betrieb gehörender Dritter sieht, wie ein Angestellter des Unternehmers beim Rangieren mit einem Lkw Probleme hat. Durch Handzeichen gibt er dem Angestellten zu verstehen, dass auf der rechten Fahrzeugseite genügend Platz zum Rangieren vorhanden ist. Der Angestellte, der seinen auf der rechten Seite stehenden Arbeitskollegen nicht sehen kann, fährt beim Rangieren seinen Arbeitskollegen an, der erheblich verletzt wird.
Rz. 134
Nach der alten Rechtslage hätte es zugunsten des Dritten keinen Haftungsausschluss gegeben, weil er nicht Betriebsangehöriger des Betriebes war, was nach § 637 RVO Voraussetzung einer Haftungsprivilegierung war.
Rz. 135
Nach § 105 SGB VII tritt auch zugunsten des Dritten die Haftungsersetzung ein, da nunmehr nur noch Voraussetzung ist, dass durch eine betriebliche Tätigkeit ein Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebes verursacht wurde.
Rz. 136
Ebenfalls neu ist, dass die Haftungsprivilegierung zugunsten des Schädigers auch dann eingreift, wenn er den Unternehmer selbst schädigt. Nach § 105 Abs. 1 S. 2 SGB VII gilt S. 1 entsprechend bei der Schädigung von Personen, die für denselben Betrieb tätig und nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherungsfrei sind.
Rz. 137
Die genannte Vorschrift (S. 2) stellt damit bestimmte versicherungsfreie Personen, die für das Unternehmen tätig sind (z.B. Beamte), den versicherten Unternehmensangehörigen gleich. Auch zugunsten dieser Personen greift also der Haftungsausschluss des § 105 SGB VII.
Rz. 138
Im vorgenannten Beispiel bedeutet dies, dass ein Haftungsausschluss zugunsten des Dritten auch dann eingreift, wenn der Verletzte ein versicherungsfreier Beamter nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und nicht etwa ein nach § 8 Abs. 1 SGB VII versicherter Mitarbeiter des Unternehmens gewesen wäre. Der Beamte wäre in diesem Fall zwar nicht nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen, sondern nach den insoweit spezielleren Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes (§ 46 Abs. 2 Beamtenversorgungsgesetz). Dies ändert aber nichts an der Haftungsprivilegierung zugunsten des Dritten.
Rz. 139
Die Bedeutung des § 105 Abs. 1 S. 2 SGB VII zeigt sich auch anhand folgenden Falles:
Beispiel
Ein Schüler hatte während einer Klassenwanderung fahrlässig den Sturz eines Lehrers verursacht, wodurch dieser infolge seiner Verletzungen mehrere Monate dienstunfähig war. Hier konnte sich der Schüler nicht auf die Haftungsbeschränkung der §§ 636, 637 Abs. 4 RVO berufen, weil der verletzte Lehrer als Beamter nach § 541 RVO nicht zum Kreis der in der gesetzlichen Unfallversicherung Versicherten zählte. Der BGH hat den Schüler daher nach altem Recht zur Zahlung des vollen Schadensersatzes verurteilt, weil ein beamteter und nicht ein angestellter Lehrer gestürzt war (BGH VersR 1986, 484).
Rz. 140
Derartigen Zufallsergebnissen soll § 105 Abs. 1 S. 2 SGB VII nunmehr begegnen.
Rz. 141
Völlig neu ist die Regelung des § 105 Abs. 2 SGB VII. Danach gilt Abs. 1 entsprechend, wenn ein nicht versicherter Unternehmer geschädigt worden ist. Soweit nach S. 1 eine Haftung ausgeschlossen ist, werden die Unternehmer wie Versicherte, die einen Versicherungsfall erlitten haben, behandelt, es sei denn, eine Ersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Unternehmer ist zivilrechtlich ausgeschlossen.
Rz. 142
§ 105 Abs. 2 S. 1 SGB VII normiert damit eine Haftungsbeschränkung für alle Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit den nichtversicherten Unternehmer desselben Betriebs schädigen. Grund der Regelung ist, dass die persönliche Haftung desjenigen, der eine betriebliche Tätigkeit ausübt, nicht von dem Zufall abhängen soll, ob der Betriebsinhaber (freiwilliges) Mitglied einer gesetzlichen Unfallversicherung ist oder nicht.
Rz. 143
Dennoch soll in derartigen Fallkonstellationen der geschädigte nichtversicherte Unternehmer nicht gänzlich leer ausgehen. § 105 Abs. 2 S. 2–4 regelt daher den Umfang der Ersatzansprüche, die der Unternehmer dann gegen den Unfallversicherungsträger erwirbt.
Rz. 144
Voraussetzung ist jedoch, dass die Haftungsbeschränkung des § 105 Abs. 2 S. 1 SGB VII zugunsten des Schädigers auch tatsächlich eingreift. Dies wäre nicht der Fall bei einer vorsätzlichen Schädigung oder...