Rz. 131
Der völlige oder zumindest quotale Ausschluss von Schäden, die der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt, umfasst sowohl positives Tun als auch Unterlassen, letzteres allerdings nur, wenn eine Pflicht zum Handeln bestand. Diese kann sich aus dem Versicherungsvertrag selbst ergeben, aber auch daraus resultieren, dass der Versicherungsnehmer die Entwicklung und drohende Verwirklichung der Gefahr zulässt, obwohl er die geeigneten Mittel zum Schutz des versicherten Interesses in der Hand hat und bei zumutbarer Wahrnehmung seiner Belange davon ebenso Gebrauch machen könnte und sollte wie eine nicht versicherte Person.
Rz. 132
Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges, wobei wie immer im Zivilrecht bedingter Vorsatz genügt; dieser liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer den Schadeneintritt billigend in Kauf nimmt.
Der Versicherer, der sich auf Vorsatz des Versicherungsnehmers beruft und mit dieser Begründung Leistungsfreiheit geltend macht, hat die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls ohne Beweiserleichterung voll zu beweisen
Grob fahrlässig handelt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und in ungewöhnlich hohem Maße dasjenige unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit umfasst danach ein objektives Element, nämlich das Abweichen von der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, und die subjektive Seite, die den Verschuldensvorwurf, gemessen an den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten, beinhaltet. Sowohl der objektive Sorgfaltsverstoß als auch das Maß des Verschuldens müssen "grob", d.h. ungewöhnlich weitgehend sein. Ein typisches Augenblicksversagen erfüllt daher in der Regel den Vorwurf grobfahrlässigen Verhaltens nicht, entkräftet ihn aber auch nicht zwingend. Soweit nach neuem Recht eine Quotierung des Leistungsanspruchs innerhalb des Bereichs grober Fahrlässigkeit nach der Schwere des Verschuldens vorzunehmen ist, sind bislang noch viele Fragen offen. Nach derzeit überwiegender Ansicht wird allein eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles dem gesetzlichen Gebot gerecht.
Rz. 133
Ist die Herbeiführung des Schadens durch rechtskräftiges Strafurteil wegen Vorsatzes in der Person des Versicherungsnehmers festgestellt, so gilt die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens nach B 4.12.1.1 VHB 2022 als bewiesen. Ob dies – die Klausel ist als unwiderlegliche Vermutung ausgestaltet – einer AGB-Kontrolle standhält, erscheint zweifelhaft. Um der berechtigten Intention der Versicherer nach einer Beweiserleichterung – den Beweis für vorsätzliches Handeln hat der Versicherer zu führen – gerecht zu werden, hätte eine Ausgestaltung als widerlegliche Vermutung genügt. Dies mit Rücksicht darauf, dass die Rechtskraft eines Strafurteils nicht immer mit einem Schuldeingeständnis gleichgesetzt werden kann und auch die StPO ein Wiederaufnahmeverfahren kennt. Von dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit hat sich der Versicherungsnehmer zu entlasten. Inwieweit im Bereich grober Fahrlässigkeit der Versicherer ein über das "Mittelmaß" grober Fahrlässigkeit hinausgehendes Verschulden darlegen muss, wird die Rechtsprechung zu klären haben.
Rz. 134
Rechtsprechungsbeispiele
Grobe Fahrlässigkeit bislang bejaht:
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Brand, Explosion: Lagerung eines gefüllten Benzinkanister in der Wohnung und Aufhalten in der Nähe des unverschlossenen Kanisters mit einer brennenden Zigarette; Stehen lassen eines mit Fett gefüllten Topfes auf der eingeschalteten Herdplatte und Verlassen der Wohnung oder Erhitzen von Fett in Pfanne auf Gasherd einer gewerblichen Küche; Liegenlassen eines Elektrolötkolbens auf der Werkbank ohne Trennung vom Netz; Werfen einer Zigarettenkippe in einen mit Papiertaschentüchern gefüllten Plastikeimer; Gasexplosion nach Wahrnehmung von Gasgeruch, ohne dass der Versicherungsnehmer darauf reagiert, bei jahrelang nicht überprüfter Gasanlage; Anweisung, Aschenbecher einer Gaststätte in Plastikeimer zu entleeren; grob sachwidriges Hantieren an einem Gasofen; Brand durch Adventsgesteck oder Kerzen am Weihnachtsbaum; Wohnungsbrand durch "Morgenzigarette"; Anzünden einer Kerze im Bereich leicht brennbarer Stoffe. |
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Diebstahl/Raub: bei Abstellen des Pkw in einem Parkhaus, wenn sich auf der Rückbank Video- und Stereogeräte mit hohem Wert, wenn auch mit darüber gebreiteten Decken befinden; Verlassen der Wohnung nach Entdeckung eines Diebstahls der Wohnungsschlüssel vor Austausch des Schlosses, wenn zu befürchten ist, der Schlüsseldieb könne Kenntnis von der Wohnanschrift haben und den Schlüssel missbrauchen; Badezimmerfenster hinter herabgelassenem Holzrollladen auf Kipp, obwohl zuvor bereits zweimal in gleicher Weise in die Wohnung des Versicherungsnehmers eingebrochen worden ist; Zurücklassen der Schlüssel und Papiere mit Wohnanschrift in Pkw; ins Schloss gezogene, nicht abgeschlossene Wohnungstür ohne Einmalversagen; lange Zeit in Kippstellung gelassenes Fenst... |