Rz. 5
Die Neuregelung des VVG gerade im Bereich der Festlegung der Leistungsverpflichtung des Versicherers brachte es mit sich, dass sich der Arbeitskreis II des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstages in Goslar 2009 mit der "Quotenbildung nach dem VVG – Empfehlungen" befasste.
Rz. 6
Er kam dabei zu folgenden Empfehlungen:
Zitat
1. Eine Quotenbildung nach dem VVG kommt nur in Betracht, wenn grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit und die Anforderungen an ihren Nachweis haben sich durch die Möglichkeit einer Quotenbildung nicht verändert.
2. Einziges Bemessungskriterium für die Quotelung ist die Schwere des Verschuldens. Billigkeits- oder Strafrechtserwägungen müssen außer Betracht bleiben.
3. Da der Grenzbereich der groben Fahrlässigkeit zum bedingten Vorsatz auf der einen Seite und zur einfachen Fahrlässigkeit auf der anderen Seite fließend ist, ist der gesamte Bereich der möglichen Quotenbildung von der vollständigen Leistungskürzung bis zur vollständigen Leistung auszunutzen.
4. Um dem Rechtsanwender im Massengeschäft ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, das im Regelfall eine sachgerechte Entscheidung ermöglicht, erscheint die Bildung von Musterquoten sachlich geboten. Dabei sollten nur wenige Quotelungsstufen (0 %, 25 %, 50 %, 75 %, 100 %) verwendet werden.
5. Maßstab für die Bildung der Musterquoten ist das objektive Gewicht der verletzten Sorgfaltspflicht. Für die abschließende Entscheidung kann und muss ggf. die Musterquote nach den Umständen des Einzelfalles abgeändert werden. Dabei sind auf Seiten des Versicherungsnehmers auch subjektive Elemente zu berücksichtigen.
6. Der Arbeitskreis fordert dazu auf, ein gemeinsames Gremium aus Vertretern von Verbraucherschutzverbänden (z.B. Automobilclubs), der Versicherungswirtschaft, der Anwaltschaft und der Richterschaft zu bilden. Dieses soll baldmöglichst eine Tabelle von Musterquoten als Orientierungsrahmen für den Bereich der Kraftfahrt-Versicherung erstellen.
7. Jedenfalls bei (relativer und absoluter) alkoholbedingter oder bei drogenbedingter Fahruntüchtigkeit oder Fahruntüchtigkeit aufgrund von Medikamentenmissbrauch wird als Musterquote eine Kürzung von 100 % empfohlen.
8. Bei mehrfachen Kürzungsgründen soll allein eine wertende Gesamtbetrachtung nach der Schwere des Verschuldens erfolgen. Die in der Literatur entwickelten mathematischen Modelle sowie das Modell der Konsumption werden nicht empfohlen.“
Rz. 7
Die Empfehlung Nummer 3 spiegelt dabei die Diskussion im Arbeitskreis wieder. Wollte der Gesetzgeber mit der Einführung der Leistungsverpflichtung entsprechend der Schwere des Verschuldens bei grober Fahrlässigkeit die gesamte Bandbreite von 100 % Leistung und 100 % Leistungsverweigerung zulassen oder sollten diese Grenzen nicht herangezogen werden dürfen? Die Gesetzessystematik spricht dafür, dass der Gesetzgeber sich der Problematik bewusst war. Während der Gesetzestext ursprünglich die Leistungsfreiheit nur vorsah, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung vorsätzlich begangen hatte, ist diese Einschränkung durch das Wort "nur" in der Endfassung weggelassen worden. Auch § 81 Abs. 2 VVG steht einer vollständigen Leistungskürzung seitens des Versicherers in Einzelfällen nicht entgegen. Zunächst lässt sich aus dem Wortlaut des § 81 VVG nicht entnehmen, dass eine Leistungskürzung auf Null in Fällen grober Fahrlässigkeit nicht möglich wäre. Auch die Entstehungsgeschichte von § 81 Abs. 2 VVG belegt nicht, dass ein vollständiger Wegfall der Leistungspflicht in Einzelfällen nicht in Betracht käme. Diese Überlegungen des Gesetzgebers brachten den Arbeitskreis II schließlich dazu, auch dafür zu plädieren, eine Quotelung zu 100 % vorzuschlagen.
Intention des Arbeitskreises war es weiterhin, ein Gremium zu fordern, welches Musterquoten festlegen sollte.