Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 112
Immer wieder wird die Frage gestellt, ob denn nicht eine anwaltliche Versicherung anstelle einer eidesstattlichen Versicherung ausreichend sei. Nun: Vom Grundsatz her muss man sagen, dass die ZPO die anwaltliche Versicherung nicht kennt, sondern nur die eidesstattliche Versicherung. Zwar gibt es – wie nachstehend beispielhaft dargestellt – immer wieder Gerichte, die auch eine anwaltliche Versicherung für ausreichend erachten. Aber will man sich darauf wirklich verlassen? Letztendlich handelt es sich doch auch um Einzelfallentscheidungen. So ist denn auch hin und wieder einer BGH-Entscheidung zu entnehmen, dass eine anwaltliche Versicherung neben weiteren Glaubhaftmachungsmitteln, wie z.B. der eidesstattlichen Versicherung einer Mitarbeiterin, ausreichend war.
Rz. 113
Rz. 114
Im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muss eine Partei gem. § 236 Abs. 2 ZPO vortragen und glaubhaft machen, warum das Versäumnis unverschuldet war und die Wiedereinsetzung zu gewähren ist. Nach Ansicht des BGH ist eine Behauptung i.S.d. §§ 236 Abs. 2 S. 1 Hs. 2, 294 ZPO dann glaubhaft gemacht, "wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft, also letztlich mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen."
Rz. 115
Die von einem Antragsteller im Wiedereinsetzungsverfahren angebotenen Glaubhaftmachungsmittel sind vom Richter gem. § 286 ZPO frei zu würdigen. Die vom Tatrichter vorgenommene Beweiswürdigung kann vom Rechtsbeschwerdegericht (BGH) nur dahingehend einer Überprüfung unterzogen werden, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO mit dem Verfahrensstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, sodass die Beweiswürdigung vollständig erfolgt und rechtlich möglich ist, nicht aber gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt.
Rz. 116
Einige weitere Entscheidungen des BGH haben sich jedoch in der Vergangenheit bereits mit der Frage befasst, ob eine Glaubhaftmachung im Wiedereinsetzungsverfahren auch durch anwaltliche Versicherung erfolgen kann.
Rz. 117
Der BGH im Jahre 2019 zu dieser Frage (Hervorhebungen durch Verfasser):
Zitat
"1. Von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung ist grundsätzlich auszugehen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten (im Anschluss an Senat, NJW 2015, 349 und BGH NJW-RR 2018, 958)."
2. Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, muss es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Zudem ist dann die Prüfung veranlasst, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt (im Anschluss an BGH WM 2016, 895 = BeckRS 2015, 20205).“
Rz. 118
Die Entscheidung des BGH war auch in vielerlei Hinsicht interessant. So hatte die Mitarbeiterin auf der ersten Seite der Rechtsmittelschrift das falsche Gericht adressiert, der Anwalt hat dies handschriftlich auf dem Schriftsatz korrigiert, die zweite Seite unterschrieben und die Mitarbeiterin angewiesen, die erste Seite auszutauschen. Diese Anweisung ließ der BGH als ausreichend erscheinen. Nachdem das OLG München zunächst in diesem Fall die Wiedereinsetzung versagte, da der Wiedereinsetzungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden sei, vertrat der BGH eine andere Auffassung. Hiernach unterliegt die Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Vorgetragenen dem Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens durch den Tatrichter. Nach Ansicht des BGH ist es erforderlich, dass wenn ein Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenkt, es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben habe, sodann einen entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Im Übrigen hätte hier zudem das Rechtsmittelgericht die Prüfung veranlassen müssen, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein "Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt." Wird die begehrte Wiedereinsetzung verwehrt, ohne eine entsprechende Zeugeneinvernahme durchzuführen, sieht der BGH hierin eine unzulässige vorweggenommene Beweiswür...