Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 91
§ 130d S. 2 ZPO spricht von einer vorübergehenden "technischen" Unmöglichkeit, nicht aber von einer subjektiven Unmöglichkeit. Nicht anwendbar ist § 130d ZPO z.B. dann, wenn der Anwalt aus persönlichen Gründen die Einreichung nicht vornehmen kann, z.B. weil er auf dem Weg zum Nachtbriefkasten einen Verkehrsunfall erleidet (hier bleibt ggf. die Möglichkeit der Wiedereinsetzung), er überhaupt nicht technisch auf die elektronische Einreichung eingestellt ist oder ein vermeidbarer Anwenderfehler vorliegt.
Rz. 92
Beispiel
Rechtsanwalt K versucht am Tag des Fristablaufs eine Rechtsmittelschrift bei einem Gericht einzureichen. Obwohl er in der Vergangenheit bereits mehrfach zahlreiche Schriftsätze über sein beA bei diversen Gerichten elektronisch eingereicht hat, gelingt es ihm nicht, das jetzt zu adressierende Gericht im Gesamtverzeichnis zu finden. Dabei hat er verschiedene Bezeichnungen des Gerichts versucht. Nicht gesucht hat er mit Sternchenangabe, z.B. "*verwaltungsgerichtshof".
Rz. 93
Dieser Fall aus der Praxis wirft mehrere Fragen auf:
Handelt es sich in diesem Fall um eine vorübergehende "technische" Unmöglichkeit oder ist hier vielmehr von einem subjektiven Versagen auszugehen?
Der VGH München hatte einen solchen Fall zu entscheiden und kam zum Ergebnis, dass menschliches Versagen nicht den Ausnahmetatbestand (erlaubte Ersatzeinreichung) gem. § 130d ZPO erfüllt (Fettdruck d.d. Verfasser).
Zitat
"Eine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes aus technischen Gründen liegt nicht vor, wenn die fristgemäße Übermittlung aufgrund eines Anwendungs- bzw. Bedienungsfehlers scheiterte, dh wenn der handelnde Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Fristablaufs zwar das notwendige technische Equipment einschließlich der Bedienungssoftware vorgehalten hatte, er aber aufgrund nicht ausreichender Schulung bzw. nicht hinreichender vorheriger autodidaktischer Befassung subjektiv nicht in der Lage war, die Übermittlung rechtzeitig vor Fristablauf umzusetzen. In diesem Fall liegt ein menschlicher und kein technischer Grund für das Scheitern der fristgemäßen elektronischen Übermittlung vor."
Rz. 94
So hielt der VGH fest, dass ein Bedienungsfehler aufgrund nicht ausreichender Schulung bzw. nicht hinreichender vorheriger autodidaktischer Befassung, der zu einer subjektiven Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung führt, nicht unter § 130d S. 2 ZPO fällt.
Rz. 95
In dem vom VGH München entschiedenen Fall war der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht in der Lage, den VGH im Adressatenfeld des beAs zu finden. Der VGH München ließ das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten, aus dem sich allenfalls die Glaubhaftmachung eines Bedienungsfehlers bzw. eines subjektiven Unvermögens der beA-Software ableiten ließ, als Ersatzeinreichungsgrund i.S.d. § 55d S. 3 VwGO nicht genügen. Dabei strengte der VGH offenbar auch eigene Bemühungen an und fragte beim Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung nach, ob sich im genannten Zeitraum vom 14.2.2022 zwischen 22:00 Uhr und 24:00 Uhr Fehler auf den Intermediären feststellen ließen. Dies war nicht der Fall. Der Versandversuch erfolgte über die beA-Webanwendung, nicht über eine besondere Kanzleisoftware. Auch die BRAK wurde vom Senat um Auskunft gebeten und teilte mit, dass Adressaten im gesamten Verzeichnis gesucht werden können. Die BRAK hatte offenbar auch darauf hingewiesen, dass sich die Suche nach Justizbehörden in einigen Fällen schwierig gestalte, weil der korrekte Name des Postfachinhabers einzugeben sei. Es hätte hier nach "Bayerischer Verwaltungsgerichtshof" gesucht werden müssen; die Suche über den Einzelbegriff "Verwaltungsgerichtshof" mit der zusätzlichen Ortsangabe "München" führe zu keinem Suchergebnis, was dem Prozessbevollmächtigten als Besonderheit bei der Adressierung möglicherweise nicht bekannt gewesen sei. Da auch unter den Internetportalen https://portal.beasupport.de/verfuegbarkeit sowie unter https://www.brak.de/fileadmin/02_fuer_anwaelte/bea/bea-stoerungsdokumentation.pdf ebenfalls eine Störung nicht ersichtlich war, blieb als Grund für die gescheiterte Adresssuche nur der von § 55d Abs. 1 S. 3 VwGO nicht erfasste Bedienungsfehler.
Rz. 96
Zusammenfassend hielt der VGH fest, dass nicht glaubhaft gemacht wurde, dass der VGH München am Abend des 14.2.2022
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aufgrund eines technischen Fehlers im Bereich der Kanzlei des Klägerbevollmächtigten, |
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aufgrund eines nicht vollständig zur Verfügung gestandenen beA-Systems, |
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aufgrund eines Fehlers auf den Intermediären, |
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aufgrund einer Störung der VAS-Suche oder |
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aufgrund einer fehlenden Erreichbarkeit der Intermediäre von außen vom Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht auf herkömmlichen Weg als Empfänger/Adressat über die beA-Webanwendung gesucht bzw. ausgewählt werden konnte, |
und es handelt sich daher eben gerade um einen menschlichen Fehler, der die Heilung durch Ersatzeinreichung ausschließt.
Rz. 97
Der VGH München entschied zudem, dass eine Wiedereinset...