Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 237
Das Unionsrecht gewinnt im nationalen Recht und gerade auch im Arbeitsgerichtsverfahren zunehmend an Bedeutung. Die Kenntnis des Unionsrechts ist für den Berater insbesondere dann wichtig, wenn die Fachgerichte die europarechtlichen Vorgaben nicht ausreichend beachten. Die nationalen Gerichte sind zur gemeinschaftskonformen Auslegung des Unionsrechts verpflichtet. Sie haben im Rahmen ihrer Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu würdigen. Weiter sind sie verpflichtet, auf eine unionsrechtliche Fragestellung hin das von ihnen zu entscheidende Verfahren ggf. auszusetzen und eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 267 AEUV herbeizuführen. Gemäß dieser Vorschrift entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge und über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union. Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaates gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass eines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vorlegen. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des EuGH verpflichtet. Mittels des Vorabentscheidungsverfahrens soll die Zusammenarbeit der nationalen Gerichte mit dem EuGH und die einheitliche Auslegung des Unionsrechts sichergestellt werden. Der EuGH ist das rechtsprechende Organ des europäischen Arbeitsrechts und zuständig für die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts.
Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV findet in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten statt, wenn das nationale Gericht (ArbG, LAG, BAG) dem EuGH die entscheidungserheblichen Rechtsfragen zur Beantwortung vorlegt. Das kann auf Anregung der Prozessparteien geschehen. Auf die streitentscheidenden Aspekte des Unionsrechts sollte daher in den vorbereitenden Schriftsätzen hingewiesen werden. Es besteht jedoch kein subjektives Recht im Sinne eines einklagbaren Anspruchs, dass das nationale Gericht ein Vorabentscheidungsverfahren einleitet. Auch können die Verfahrensparteien den EuGH nicht selbst anrufen. Selbst wenn eine Vorlagepflicht gem. § 267 Abs. 3 AEUV besteht, kann die Vorlage an den EuGH nicht erzwungen werden. Diese Pflicht gilt ohnehin nur für das letztinstanzlich entscheidende Gericht. Zur Vorlage verpflichtet ist danach regelmäßig das BAG. LAG und ArbG sind nur verpflichtet, soweit gegen ihre Entscheidungen kein ordentliches Rechtsmittel gegeben ist. Das bedeutet, dass das LAG dem EuGH nur dann vorlegen muss, soweit es die Revision zum BAG nicht zulässt. Verletzt ein letztinstanzliches Gericht seine Vorlagepflicht, stellt dies eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 100 Abs. 1 S. 2 GG dar.
Hat das nationale Gericht im Ausgangsverfahren einen Vorlagebeschluss gefasst und dem EuGH übersandt, müssen die Parteien des Ausgangsverfahrens erst tätig werden, wenn ihnen das Vorabentscheidungsersuchen von der Kanzlei des EuGH zugestellt wird. Innerhalb einer zwingenden Frist von zwei Monaten nach dieser Zustellung (zzgl. der pauschalen Entfernungsfrist von zehn Tagen) können die Parteien, die Mitgliedstatten, die Kommission und ggf. die Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union beim EuGH einen Schriftsatz einreichen oder eine schriftliche Erklärung abgeben. Die genannte Frist kann nicht verlängert werden. Jeder Schriftsatz ist bei der Kanzlei des Gerichtshofs einzureichen. Die Einreichung unterliegt keinem besonderen Formerfordernis. Als sicherster und schnellster Weg empfiehlt sich, den Schriftsatz über e-Curia einzureichen. Auf diesem elektronischen Weg kann, ohne dass beglaubigte Kopien erstellt werden müssen, rechtssicher eingereicht werden. Wird der Schriftsatz nicht über diesen elektronischen Weg übermittelt, ist er an die Kanzlei des Gerichtshofs zu richten. Die Anschrift lautet: Rue du Fort Niedergrünewald – L – 2925 Luxemburg. Ausführliche Informationen zu den Formalitäten etc. des Vorabentscheidungsverfahrens sind den Praktische Anweisungen für die Parteien in den Rechtssachen vor dem Gerichtshof zu entnehmen, die im Internet abrufbar sind.
Mit dem im Vorabentscheidungsverfahren einzureichenden Schriftsatz geht es darum, dem EuGH Antworten auf die vom nationalen Gericht formulierten Fragen vorzuschlagen. Es sollte knapp, aber vollständig begründet werden, warum die Fragen so und nicht anders zu beantworten sind. Dabei ist es wichtig, dem Gerichtshof die tatsächlichen Umstände des Ausgangsverfahrens sowie die einschlägigen Vorschriften des in Rede stehenden nationalen Rechts deutlich zu machen. Die Argumentation anderer Verfahrensbeteiligter sollte möglichst antizipiert werden, denn es ist nicht vorgesehen, schriftlich auf die schriftlich...