Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 594
Wird der Arbeitnehmer während des bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht beschäftigt, so hat er grundsätzlich einen Verfügungsanspruch. Der Arbeitgeber hat nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen das Recht, den Arbeitnehmer während des (noch) ungekündigten Arbeitsverhältnisses einseitig zu suspendieren. Dies gilt auch für leitende Angestellte und Führungskräfte. Ein den Arbeitgeber zur Freistellung berechtigendes Interesse wird übereinstimmend ausnahmsweise bejaht, wenn ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung im Sinne des § 626 BGB vorliegt, der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung aber erst eine behördliche Genehmigung einholen muss, ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG durchführen muss oder die Freistellung ein milderes Mittel gegenüber einer sofortigen Verdachtskündigung darstellt.
Der Beschäftigungsanspruch ist dispositiv, so dass Vereinbarungen über die Freistellung des Arbeitnehmers zulässig sind. Unwirksam sind allerdings Klauseln, mit denen sich der Arbeitgeber die jederzeitige Freistellung des Arbeitnehmers bereits im Arbeitsvertrag vorbehält. Eine solche globale Freistellungsklausel schränkt die Rechte des Arbeitnehmers unangemessen stark ein und hält daher der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB nicht stand.
Umstritten ist, ob bei der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers ein Verfügungsgrund schon deshalb immer besteht, weil der Beschäftigungsanspruch durch Zeitablauf unwiederbringlich verloren geht. Die überwiegende Ansicht verneint dies und verlangt für einen Verfügungsgrund die Darlegung eines besonderen Beschäftigungsbedürfnisses, d.h. der Arbeitnehmer muss darlegen und glaubhaft machen, dass er auf die Erfüllung seines Beschäftigungsanspruchs dringend angewiesen ist, etwa um berufliche Chancen zu erhalten, weil er sonst Nachteile erleidet. Die bloße Vereitelung eines Erfüllungsanspruchs stelle keinen wesentlichen Nachteil im Sinne des § 940 ZPO dar. Vom Arbeitnehmer sollten daher in der Antragsschrift Tatsachen glaubhaft gemacht werden, weshalb eine Entscheidung im Eilverfahren zur Abwehr wesentlicher Nachteile erforderlich ist. Dies kann beispielsweise damit begründet werden, dass die Nichtbeschäftigung den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen oder bei Aufrechterhaltung seiner Qualifikationen beeinträchtigt. Ferner ist – insbesondere bei Führungskräften – auch eine Berufung auf den mit der Freistellung verbundenen Reputations- und Ansehensverlust denkbar. Bei Betriebs- und Personalräten kann ein besonderes Interesse mit der Wahrnehmung der Amtsaufgaben begründet werden.
Rz. 595
Praxistipp
Wichtig ist es, nach der Freistellung nicht zu lange mit der Beantragung der einstweiligen Verfügung zu warten. Sonst besteht das Risiko, dass das Arbeitsgericht einen Verfügungsgrund verneint, weil es an der Eilbedürftigkeit fehle. Denn das Eilbedürfnis kann durch das Arbeitnehmerverhalten widerlegt werden. Zeigt der Arbeitnehmer durch eine längere Untätigkeit, dass es ihm mit der Durchsetzung seines Anspruchs nicht dringlich ist, wird ein Verfügungsgrund weiterhin verneint.