Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 433
Die eigentliche Bedeutung von § 78a BetrVG liegt darin, dass der Auszubildende durch eine einseitige Erklärung ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu begründen vermag, selbst wenn der Arbeitgeber bereits erklärt hat, an einer Weiterbeschäftigung nicht interessiert zu sein. Ändert der Arbeitgeber seine Auffassung noch und beschäftigt den fertig Ausgebildeten weiter, gelangt nicht § 78a BetrVG, sondern § 24 BBiG zu Anwendung. Nach dessen Regelungsinhalt führt – mangels vertraglicher Vereinbarung – die tatsächliche Weiterbeschäftigung nach dem Ende der Ausbildung zur Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Verweigert der Arbeitgeber die tatsächliche Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters, kann eine Weiterbeschäftigungspflicht aus § 78a Abs. 2 BetrVG erfolgen, soweit dessen Voraussetzungen erfüllt sind.
Rz. 434
Ein Übernahmerecht haben gemäß § 78a Abs. 1, 2 BetrVG nur in Ausbildung befindliche Mitglieder von Betriebsverfassungsorganen. Unter den Begriff des Auszubildenden sind jedenfalls solche Arbeitnehmer zu fassen, die in durch das BBiG staatlich anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden, also einen Berufsausbildungsvertrag gemäß §§ 10, 11 BBiG abgeschlossen haben. Nach der Rechtsprechung des BAG erstreckt sich der Schutzzweck der Norm jedoch auch auf solche Ausbildungsverhältnisse, die tariflichen Regelungen entsprechen und eine geordnete Ausbildung von mindestens zwei Jahren Dauer vorsehen (wie etwa bei Redaktionsvolontären). Entscheidend ist, dass die Pflicht des Arbeitgebers zur Ausbildung gegenüber der Pflicht des Arbeitnehmers zur bloßen Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung überwiegt. Da § 78a BetrVG eine Lücke im betriebsverfassungsrechtlichen Schutzsystem zu schließen sucht, ist sie hinsichtlich des geschützten Personenkreises insofern weit auszulegen. Schließlich muss das Ausbildungsverhältnis mit dem ausbildenden Unternehmen bestehen, so dass eine Übernahme nach § 78a Abs. 2 BetrVG in den praktischen Ausbildungsbetrieb ausscheidet, wenn der Ausbildungsvertrag mit dem Träger einer überbetrieblichen Ausbildung geschlossen wurde, der über ausbildungsgeeignete Arbeitsplätze selbst nicht verfügt. Dass der Arbeitgeber ausbildendes Tendenzunternehmen ist, schließt die Anwendung des § 78a Abs. 2 BetrVG nicht aus. Dessen Rechtsfolge kann aus Gründen des Tendenzschutzes nach § 118 Abs. 1 BetrVG ausnahmsweise nur dann entfallen, wenn tendenzbedingte Gründe die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers als für den Arbeitgeber unzumutbar ausschließen.
Praxistipp
Besteht eine tarifliche Regelung, nach der eine Übernahme von sämtlichen Auszubildenden in ein (ggf. befristetes) Arbeitsverhältnis vorgesehen ist, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der tariflichen Regelung zum gesetzlichen Übernahmeanspruch besonders geschützter Auszubildender nach § 78a Abs. 2 BetrVG. Prinzipiell bestehen beide Regelungen nebeneinander, da sie verschiedenen Personengruppen unter jeweils eigenen Voraussetzungen Rechte einräumen. Allerdings gibt es Verknüpfungen. Trotz eines tariflichen Übernahmeanspruchs kann sich ein Arbeitgeber etwa grundsätzlich darauf berufen, eine Weiterbeschäftigung des Auszubildenden sei ihm unzumutbar i.S.d. § 78a Abs. 4 BetrVG.
Rz. 435
Der Arbeitnehmer muss Mitglied eines betriebsverfassungsrechtlichen Organs sein, namentlich "der Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Betriebsrats, der Bordvertretung oder des Seebetriebsrats" (§ 78a Abs. 1 BetrVG). Voraussetzung für die Anwendung des § 78a BetrVG ist daher stets eine wirksame Wahl des Betreffenden in das entsprechende betriebsverfassungsrechtliche Gremium. Dagegen fallen unter den Schutzbereich der Norm – anders als in § 15 KSchG – nicht die Mitglieder der Wahlvorstände, Wahlbewerber oder Initianten einer Wahl. Der durch § 78a BetrVG vermittelte Schutz entfaltet seine Wirkung nicht erst mit dem Beginn der Amtszeit, sondern bereits mit dem Erwerb der Mitgliedschaft, also der Feststellung der ausreichenden Stimmenzahl bei der Auszählung. Sein Ende findet er gemäß § 78a Abs. 3 BetrVG erst mit Ablauf eines Jahres "nach Beendigung der Amtszeit". Nach vorherrschender Ansicht ist die Norm teleologisch jedoch so auszulegen, dass nicht auf das Ende der Amtszeit, sondern auf das Ende der individuellen Mitgliedschaft des Betreffenden abzustellen ist. Der Schutz erstreckt sich also auch auf ausgeschiedene Mitglieder der Betriebsverfassungsorgane während des ersten Jahres nach dem Ende der Mitgliedschaft. Ersatzmitglieder fallen unter den Anwendungsbereich des § 78a BetrVG, wenn sie entweder endgültig an die Stelle eines ausgeschiedenen Mandatsträgers getreten sind oder im letzten Vierteljahr vor der Beendigung der Berufsausbildung die Vertretung eines lediglich zeitweise verhinderten Mandatsträgers übernommen haben und in dieser Vertretungszeit die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis verlangen. Entsprechend gilt auch die Nachwirkung nach Absatz 3 ...