Chr. Hendrik Scholz, Dr. Tina Witten
Rz. 70
Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, löst das Gericht gem. § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis auf und verurteilt den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung. Dafür muss kein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen, der dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar machen würde. Es reicht aus, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit unzumutbar ist. Als Auflösungszeitpunkt setzt das Gericht den Zeitpunkt fest, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Gestaltungsspielraum besteht insoweit nicht. Im Rahmen einer Änderungsschutzklage, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen hat, findet § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG weder unmittelbar noch mittelbar Anwendung.
Rz. 71
Die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG setzt voraus, dass zwischen den Parteien ein Kündigungsrechtsstreit anhängig ist. Der Antrag kann daher frühestens mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage gestellt werden. Das Arbeitsgericht muss über die Rechtswirksamkeit der Kündigung und über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses grds. einheitlich entscheiden; getrennte Entscheidungen entweder durch Teilurteil über die Wirksamkeit der Kündigung oder durch Schlussurteil über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sind wegen der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen regelmäßig unzulässig. Bei dem Antrag des Arbeitnehmers handelt es sich um einen sog. unechten Hilfsantrag. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers ist dagegen ein echter Hilfsantrag. Nur wenn dem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung stattgegeben wird, kann das Gericht über den Auflösungsantrag entscheiden. Eine positive Entscheidung setzt voraus, dass das Gericht jedenfalls auch die Sozialwidrigkeit der Kündigung feststellt. Unerheblich ist dann, ob zusätzlich noch andere Gründe zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
Rz. 72
Voraussetzung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist ein entsprechender Auflösungsantrag. Die Auflösung von Amts wegen kommt nicht in Betracht. Im Falle einer ordentlichen Kündigung kann der Auflösungsantrag sowohl vom Arbeitnehmer als auch vom Arbeitgeber gestellt werden. Bei einer außerordentlichen Kündigung kann dagegen nur der Arbeitnehmer, nicht aber der Arbeitgeber, einen Auflösungsantrag stellen, § 13 Abs. 1 S. 3 KSchG.
Rz. 73
Der Auflösungsantrag kann schriftlich, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung gestellt werden. Das muss bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz geschehen sein, § 9 Abs. 1 S. 3 KSchG. Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Auflösungsantrag auch zurückgenommen werden. In der Revisionsinstanz kann der Auflösungsantrag nicht erstmals gestellt werden. Der Arbeitnehmer kann den Auflösungsantrag auch dann noch stellen, wenn der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess die erklärte Kündigung "zurücknimmt", er also die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr weiter verfolgt.
Rz. 74
Es ist nicht erforderlich, aber durchaus zweckmäßig, dass im Auflösungsantrag die Höhe der begehrten Abfindung angegeben wird. Setzt das Arbeitsgericht eine niedrigere Abfindung fest, so stellt bereits dies eine für die Einlegung der Berufung notwendige Beschwer dar. Wenn der Antrag ohne konkreten Abfindungsbetrag (in das Ermessen des Gerichts) gestellt wird, ist diese Beschwer nicht automatisch gegeben, sondern nur falls das Gericht unter der Höchstgrenze nach § 10 KSchG geblieben ist. Ist im ersten Rechtszug kein Auflösungsantrag gestellt worden, so ist bei Obsiegen mit dem Kündigungsschutzantrag mangels Beschwer keine Berufung zulässig, mit der allein die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erstrebt wird.
Rz. 75
Das Gericht hat eine "angemessene" Abfindung festzusetzen. Bei seiner Ermessensentscheidung soll es sich von dem Grundsatz leiten lassen, dass die Abfindung den Nachteil ausgleichen soll, der dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes entsteht. Gebunden ist das Gericht an die Höchstbeträge, wie sie sich aus § 10 KSchG ergeben. Grds. liegt die Höchstgrenze für die Abfindung bei zwölf Monatsverdiensten, § 10 Abs. 1 KSchG. Hat der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses das 50. Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt mindestens 15 Jahre bestanden, darf die Abfindung maximal 15 Monatsverdienste betragen. Die Maximalabfindung erhöht sich auf 18 Monatsverdienste, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 55. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt mindestens 20 Jahre bestanden hat. Für Arbeitnehmer, die zum Auflösungszeitpunkt bereits im gesetzlichen...