Rz. 299
Bei Widerrufsvergleichen ist die Wirksamkeit des Vergleiches aufschiebend bedingt. Die zwischen den Parteien getroffene Regelung soll erst dann gelten, wenn die vereinbarte Frist abgelaufen ist, ohne dass bei Gericht eine Widerrufserklärung eingegangen wäre.
Rz. 300
Ein im Prozessvergleich nicht enthaltenes Widerrufsrecht kann von den Parteien nachträglich nur wirksam vereinbart werden, wenn die für den Prozessvergleich geltenden Förmlichkeiten eingehalten werden und die prozessbeendende Wirkung des Vergleichs noch nicht eingetreten ist.
Rz. 301
Prozessparteien können eine im Prozessvergleich wirksam vereinbarte Widerrufsfrist vor deren Ablauf ohne Mitwirkung des Gerichts verlängern.
Rz. 302
Dass die Bedingung (kein Widerruf der Parteien) eingetreten ist, hat diejenige Partei zu beweisen, die sich auf den, mangels Widerrufs wirksam gewordenen, Vergleich beruft.
Rz. 303
Das Nicht-Ausnutzen einer Widerrufsmöglichkeit ist keine Willenserklärung und damit auch nicht anfechtbar.
Rz. 304
Die in einem Prozessvergleich bestimmte Widerrufsfrist ist keine Notfrist. Bei Fristversäumung ist eine Wiedereinsetzung nicht zulässig. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog § 230 ZPO entfällt bei Versäumung eines Vergleichswiderrufes.
Rz. 305
Der Fristlauf beginnt am Tage nach dem Vergleichsabschluss (§ 187 Abs. 1 BGB) und nicht erst mit Zugang des Protokolls. Fällt der Fristablauf auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag, endet die Frist im Zweifel erst am nächsten Werktag (§ 193 BGB); siehe ergänzend § 5 Rdn 307 ff. Die in einem Prozessvergleich vereinbarte Widerrufsfrist kann durch eine außergerichtliche Vereinbarung verlängert werden, wenn die Fristverlängerung innerhalb der Widerrufsfrist dem Gericht gegenüber angezeigt wird.
Rz. 306
Der Widerruf kann sowohl gegenüber dem Gericht als auch gegenüber der anderen Vergleichspartei wirksam erklärt werden, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben. Bei der Ausübung des vorbehaltenen Widerrufs hat ein Rechtsanwalt i.d.R. für den rechtzeitigen und formgerechten Eingang bei der zuständigen Stelle in beweisbarer Form zu sorgen. Haben die Parteien ausdrücklich oder konkludent vereinbart, dass der Widerruf gegenüber dem Gericht binnen einer bestimmten Frist zu erfolgen hat, reicht eine nur der anderen Partei fristgemäß zugesandte Widerrufserklärung nicht aus, die Widerrufsfrist zu wahren; geht der Widerruf bei Gericht nicht fristgerecht ein, wird der Vergleich also rechtsgültig.
Rz. 307
Die Widerrufsfrist wird gewahrt, wenn der Schriftsatz vor Fristablauf in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt, auch wenn im Vergleich "Anzeige zu den Gerichtsakten" oder "Einreichung zur Geschäftsstelle" vereinbart ist. Für die Rechtzeitigkeit darf es nicht auf interne gerichtliche Geschäftsabläufe und die Mitwirkung von Justizbediensteten ankommen.
Rz. 308
Der Widerruf eines Prozessvergleichs durch den Haftpflichtversicherer wirkt auch für und gegen den mitverklagten und in den Vergleich miteinbezogenen Versicherten.
Rz. 309
Wurde ein Widerrufsvergleich nur von einer Partei (wirksam) widerrufen, ist ein Feststellungsantrag des Klägers hinsichtlich der Wirksamkeit des Vergleichs gegenüber den übrigen Beklagten zulässig, wenn diese die Fortsetzung des Rechtsstreites in der Meinung beantragt haben, der Vergleich sei aufgrund des Widerrufs insgesamt hinfällig.
Rz. 310
Hat der Verletzte mit allen ihm haftenden Personen (Gesamtschuldner) einen bedingten Vergleich geschlossen, kann er u.U. trotz Erhalts der Vergleichssumme gegenüber demjenigen Schädiger, der den Vergleich widerruft, seinen vollen Schaden – unter Anrechnung des gezahlten Vergleichsbetrages – weiterfolgen.
Rz. 311
Heißt es in einem gerichtlichen Vergleich, eine Zahlung sei bis zu einem bestimmten Tage "an den Kläger" zu leisten, so erfüllt (ergänzend § 2 Rdn 984 ff.) der Schuldner seine Verpflichtung, wenn der Betrag rechtzeitig auf dem Konto des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingeht.
Rz. 312
Bis zur Erklärung des Widerrufs ist der Verjährungslauf gehemmt.