Rz. 89

Bis zum 31.12.2007 galt Folgendes: Neue, bisher unbekannte Nutzungsrechte fielen automatisch dem Urheberrecht, namentlich dem Verwertungsrecht des Urhebers, zu und konnten nicht Gegenstand der Einräumung von Nutzungsrechten sein. § 31 Abs. 4 UrhG erklärte vielmehr die Einräumung von Nutzungsrechten für noch nicht bekannte Nutzungsarten sowie Verpflichtungen hierzu für unwirksam. Diese Vorschrift galt auch für die treuhänderische Einräumung von Nutzungsrechten an Verwertungsgesellschaften.

 

Rz. 90

Mit den Neuregelungen des Zweiten Korbes, also ab dem 1.1.2008, wurde § 31 Abs. 4 UrhG gestrichen. Zugleich wurde mit § 31a UrhG eine Regelung neu aufgenommen, die die Verträge über unbekannte Nutzungsarten zum Gegenstand hat. Darüber hinaus behandelt die ebenfalls neue Bestimmung des § 32c UrhG die Vergütung für später bekannte Nutzungsarten (siehe Rdn 183). Schließlich ist auf § 137l UrhG hinzuweisen, der Übergangsreglungen für neue Nutzungsarten festschreibt.[133]

 

Rz. 91

Grund für die Neuregelung war die für Werkvermittler (Verwerter) und Nutzer unbefriedigende Situation, dass zahlreiche "Archivschätze" nicht genutzt werden konnten. Hatte etwa ein Buchautor, ein Komponist oder ein Fotokünstler in den 1970er Jahren einem Verlag alle zur damaligen Zeit bekannten Nutzungsarten eingeräumt, so waren damit die verschiedenen Nutzungsarten des Internets nicht mit übertragen worden. Möchte der jeweilige Verlag nun heute diese Werke etwa durch Einstellen ins Internet (öffentlich Zugänglichmachen, § 19a UrhG) nutzen, so brauchte dieser nach der alten Gesetzeslage die Zustimmung sämtlicher Urheber durch individuelle Vereinbarungen. Die damit notwendigen Vertragsverhandlungen mit einer nachträglichen zusätzlichen Vergütung waren vom Gesetzgeber gerade erwünscht. Der Urheber sollte von dem "technischen Fortschritt" zum einen finanziell profitieren, zum anderen aber auch sein Urheberpersönlichkeit gerade dadurch geltend machen können, dass eine neue Nutzungsart, wie die Möglichkeiten der Online-Nutzung, verhindert werden konnte. Ein solches Ergebnis ist aus verständlichen Gründen den Verwertern schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Immerhin war es selbst für die Nutzer (als Verbraucher) unbefriedigend, dass "alte" Werke manchmal nicht online zugänglich waren. Schließlich beeinträchtigte der ehemalige § 31 Abs. 4 UrhG vielfach sogar die Interessen der Urheber selbst, etwa wenn einzelne Miturheber nicht aufzufinden und neue Vertragsverhandlungen dadurch faktisch blockiert waren. Selbst wenn der Urheber unbekannte Nutzungsrechte übertragen wollte, scheiterte dies oftmals an der Rechtsunsicherheit der Feststellung und Anerkennung einer neuen Nutzungsart als maßgeblichem Vertragsgegenstand. Es musste also eine gesetzliche Lösung gefunden werden, die sowohl die Interessen der Urheber berücksichtigt als auch den berechtigten Argumenten der Verwerter und Nutzer näher kommt.[134]

 

Rz. 92

Bezogen auf die Filmbranche wurden die Interessen der Filmhersteller in den Vordergrund gestellt, indem die Auslegungsregeln der §§ 88 und 89 UrhG unbekannte Nutzungsarten ausnehmen und somit die unbeschränkte Inanspruchnahme, allerdings mit der Möglichkeit der Geltendmachung einer gesonderten angemessenen Vergütung (§ 32c UrhG) für die Zukunft (siehe Rdn 183).[135] Zur Begründung wird angeführt, dass die Verwertung von Filmproduktionen in einer neuen Nutzungsart für die Filmhersteller mit einer Reihe von finanziellen und rechtlichen Risiken sowie der Gefahr der Obstruktion Einzelner verbunden sei, was ein Hindernis für die Auswertung von Filmen in neuen Nutzungsarten bedeute.[136]

 

Rz. 93

Im Übrigen wurde eine differenzierte Lösung gefunden. Verträge über unbekannte Nutzungsarten sind zulässig, bedürfen aber zunächst der Schriftform, sofern es sich nicht um die unentgeltliche Überlassung einfacher Nutzungsrechte an jedermann handelt (§ 31a Abs. 1UrhG). Nur damit werden Open Source-Verwertungsmodelle bzw. Open Access-Publikationen ermöglicht, da diese in der Regel ohne schriftliche Verträge zustande kommen.[137]

 

Rz. 94

Den Urhebern steht ein Widerrufsrecht zu, das sowohl im Hinblick auf die Verpflichtung als auch bezogen auf die Rechtseinräumung selbst ausgesprochen werden kann.

Dieses Widerrufsrecht erlischt in folgenden Fällen:

Nach Ablauf von drei Monaten, nachdem der Verwerter die Mitteilung über die beabsichtigte Aufnahme der neuen Art der Werknutzung an den Urheber unter der ihm zuletzt bekannten Anschrift abgesendet hat (§ 31a Abs. 1 UrhG);
wenn sich die Parteien nach Bekanntwerden der neuen Nutzungsart auf eine Vergütung nach § 32c Abs. 1 UrhG geeinigt haben;
wenn die Parteien die Vergütung nach einer gemeinsamen Vergütungsregel (gem. § 36 UrhG) vereinbart haben (§ 31a Abs. 2 S. 1 UrhG);
mit dem Tod des Urhebers (§ 31a Abs. 2 S. 2 UrhG).
 

Rz. 95

Für den Fall, dass mehrere Werke oder Werkbeiträge zu einer Gesamtheit zusammengefasst sind, die sich in der neuen Nutzungsart in angemessener Weise nur unter Verwendung sämtlicher Werke oder Werkbeit...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge