Rz. 201
Die Rechtsprechung zur Frage der Sittenwidrigkeit bzw. Unangemessenheit einer vereinbarten Vergütung ist umfangreich. Pauschale Richtlinien gibt es nicht und können auch nicht aufgestellt werden.
Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB:
"(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig."
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.“
Rz. 202
Wucher gemäß § 138 Abs. 2 BGB liegt vor, wenn einer der hier geregelten Fälle anzunehmen ist:
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Ausbeutung einer Zwangslage |
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Ausbeutung einer Unerfahrenheit |
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Ausbeutung eines mangelnden Urteilsvermögens |
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erhebliche Willensschwäche des anderen |
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auffälliges Missverhältnis zur Leistung |
Rz. 203
Eine Honorarvereinbarung mit einem Sozialhilfeempfänger ist nicht grundsätzlich sittenwidrig, § 138 Abs. 1 BGB. Die Sittenwidrigkeit ist aufgrund einer umfassenden Gesamtbetrachtung zu bestimmen.
Rz. 204
Sittenwidrig ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH eine Vergütungsabrede, wenn
Zitat
"zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und weitere Umstände hinzutreten, welche die Sittenwidrigkeit begründen, insbesondere etwa eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausbeutung der schwierigen Lage oder Unerfahrenheit für das eigene unangemessene Gewinnstreben."
Rz. 205
Ein grobes Missverhältnis kann schon vorliegen, denn die vereinbarte Vergütung den Wert der zu erbringenden Gegenleistung um mehr als 100 % übersteigt; eine Herabsetzung auf die angemessene Vergütung scheidet dann aus.
Rz. 206
Zitat
"Eine Herabsetzung des vereinbarten Honorars … ist nur zulässig, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände unerträglich und mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar wäre, den Auftraggeber an seinem Honorarversprechen festzuhalten."
Ein weit über den gesetzlichen Gebühren angesiedeltes Honorar ist nur dann objektiv sittenwidrig, wenn ein zulässig vereinbartes Stundenhonorar ebenfalls zu einem untragbaren Ergebnis käme.“
Rz. 207
Als sittenwidrig zu hoch wurde in der Vergangenheit bereits erachtet:
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Vergütung für Korrespondenzanwalt, die die gesetzliche Vergütung um mehr als das fünffache übersteigt |
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eine Vergütung, die die gesetzlichen Gebühren um das 17-fache übersteigt |
Rz. 208
Was Strafsachen betrifft, so hat der BGH die Grenze zur Sittenwidrigkeit ebenfalls bei einer Vereinbarung, die die gesetzlichen Gebühren um das 5fache übersteigt, angenommen; diese Entscheidung wurde vielfach kritisiert.
Rz. 209
Entscheidung des BGH vom 27.1.2005 (Strafsachen):
Zitat
"a) Vereinbart ein Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen eine Vergütung, die mehr als das fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie unangemessen hoch und das Mäßigungsgebot des § 3 Abs. 3 BRAGO verletzt ist."
b) Die Vermutung einer unangemessen hohen Vergütung kann durch den Rechtsanwalt entkräftet werden, wenn er ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände darlegt, die es möglich erscheinen lassen, bei Abwägung aller für die Herabsetzungsentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte die Vergütung nicht als unangemessen hoch anzusehen.“
Rz. 210
Die Entscheidung des BGH beruhte auf einer Honorarvereinbarung, mit der ein, im weit fortgeschrittenen Verfahrensstadium eingeschalteter Wahlverteidiger eine Honorarpauschale in Höhe von 60.000,00 DM zzgl. Umsatzsteuer sowie ein Stundenhonorar von 800,00 DM zzgl. Umsatzsteuer vereinbart hatte.
Rz. 211
Nachdem die erste Hälfte der Pauschale unmittelbar nach Mandatsaufnahme gezahlt wurde, ließ sich der Wahlverteidiger die zweite Honorarhälfte durch die Bestellung einer Grundschuld absichern. Wenige Tage vor einem Hauptverhandlungstermin erstellte der Wahlverteidiger eine Abrechnung mit einem Betrag von über 62.000,00 DM. Nachdem eine Zahlung nicht erfolgte, wurde das Mandat niedergelegt. Das Mandat erstreckte sich vom 20.8.1998 bis 28.9.1998.
Rz. 212
Für zivilprozessuale Fälle hatte der BGH bereits in der Vergangenheit den fünffachen Satz als unangemessen erachtet. Diese Entscheidung bezog sich auf einen Fall mit hohem Streitwert.
Rz. 213
Das Bundesverfassungsgericht hat im Juni 2009 nun über die Frage der Angemessenheit eines Strafverteidiger-Honorars entschieden, dass die Reduzierung eines anwaltlichen Honoraranspruchs auf der Grundlage des § 3 Abs. 3 BRAGO (jetzt: § 3a Abs. 2 RVG) durch richterlichen Gestaltungsakt in die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG eingreift am 15.6.2009 entschieden.
Zitat
"Zu den schutzwürdigen Gemeinwohlbelangen, die einer überhöhten Vergütungsforderung eines Rechtsanwalts entgegenstehen können, gehören der – im Bereich der Strafverteidigung besonders wic...