Rz. 44

Entscheidend ist, dass der Erblasser vor oder spätestens bei der Zuwendung eine Anrechnungsbestimmung getroffen haben muss, die sich als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung darstellt, die dem Empfänger rechtzeitig zugehen muss.[26] Diese Anrechnungsbestimmung ist nicht formgebunden, sie ist sogar konkludent möglich, wobei jedoch bloßes Stillschweigen nicht reicht.[27] Allerdings kann die Bestimmung auch mündlich und schlüssig erfolgen.

Eine nachträgliche Anrechnungsbestimmung kann nur in notarieller Form, und zwar durch einen entsprechenden Pflichtteilsverzichtsvertrag, erfolgen.[28]

 

Rz. 45

Auch bei einer möglicherweise stillschweigend enthaltenen Anrechnungsbestimmung muss die Erklärung des Erblassers so eindeutig sein, dass sie für die Pflichtteilsberechtigten vor oder bei der Zuwendung als solche erkennbar ist.[29] Die Pflichtteilsreform hat diesbezüglich leider keine Änderung gebracht. Hier war zunächst vorgesehen, dass der Zuwendende eine solche Anrechnungsverfügung auch nachträglich etwa durch Testament treffen kann. Damit wäre es dem Zuwendenden möglich gewesen, spätere Korrekturen vorzunehmen, etwa im Sinne einer Gleichbehandlung seiner Abkömmlinge oder der Berücksichtigung späterer Veränderungen in der Familienbiografie.

 

Rz. 46

Diese Stärkung der Testierfreiheit hat der Gesetzgeber leider nicht in die Tat umgesetzt, sondern sie kurz bevor Beschlussfassung wieder aus dem Gesetz gestrichen. Damit ist es bei dem "alten" Rechtsstand verblieben, dass die Anrechnungsbestimmung spätestens bei der Zuwendung erfolgen muss. Ein Reformbedarf ist aber nach wie vor erkennbar. Wenn also ein Erblasser im Rahmen einer strategischen Familienplanung beabsichtigt, dass bestimmte Zuwendungen späterhin im Rahmen der Berechnung des Pflichtteils Berücksichtigung finden sollen, ist die Anrechnungsbestimmung, in der gebotenen klaren Form ausgesprochen, ein patentes Mittel. Zu Beweiszwecken sollte sie schriftlich fixiert und der Empfang von dem Begünstigten bestätigt sein.

Stellt sich im weiteren Verlauf heraus, dass es doch nicht zu einer Anrechnung kommen soll, könnte eine solche Anrechnungsbestimmung ohne Weiteres nachträglich beseitigt werden.[30] Dies kann auch durch formlose Erklärung erfolgen.

 

Rz. 47

Der Schwachpunkt der gesetzlichen Regelung ist, dass es keine Vorgaben für Form und Inhalt der Anrechnungsbestimmung gibt. Aus diesem Grunde gibt es in der Praxis immer wieder Streit zu der Frage, ob und wenn ja mit welchem Inhalt der Erblasser Bestimmung getroffen hat. Dies umso mehr, als auch durch Auslegung ermittelt werden kann, ob eine Schenkung möglicherweise unter Anrechnung auf den Pflichtteil gewährt wurde.[31] Da für die Feststellung der Anrechnung auf den Pflichtteil kein strenger Maßstab gelten soll, ist das Feld für Streitigkeiten weit. Je großzügiger man hier ist, umso eher wird man zu einer Anrechnung kommen, wobei beispielhaft die Frage auftaucht, ob die Zuwendung mit der Bestimmung "Erbteil" dann auch als Anrechnungsbestimmung auf den Pflichtteil gelten soll.[32] Besonders die in der notariellen Praxis gepflegte Terminologie der "vorweggenommenen Erbfolge" hat hier zu erheblicher Verwirrung geführt.

 

Rz. 48

Durch das Urteil des BGH[33] sind die Dinge nicht klarer geworden, denn der BGH hat letztlich nur die verschiedenen Möglichkeiten aufgezeigt (Anrechnung, Ausgleichung oder Anrechnung plus Ausgleichung) und den Willen des Erblassers als ausschlaggebend dafür deklariert, was mit der Zuwendung gemeint war. Das bringt der Praxis wenig brauchbare Handhabe.

 

Rz. 49

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich noch bei der Zuwendung an Minderjährige, die ja den verstärkten Schutz der §§ 104 ff. BGB genießen. Hier stellt sich die Frage, ob eine Anrechnungsbestimmung sich nicht als rechtlicher Nachteil darstellt, sodass gemäß § 107 BGB eine solche Anrechnungsbestimmung dem Minderjährigen gegenüber möglicherweise unwirksam ist. Es dürfte zutreffend sein, die Zuwendung unter Anrechnungsbestimmung nicht als lediglich rechtlich vorteilhaft einzustufen,[34] sodass bei dieser Art der Zuwendung ein Ergänzungspfleger nach §§ 1909 Abs. 1, 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB bestellt werden müsste. Darüber hinaus ist hier noch die Genehmigung durch das Familiengericht erforderlich.[35]

[26] OLG Koblenz ZErb 2003, 159 und st. Rspr.
[28] Scherer, Unternehmensnachfolge, § 20 Anm. 41 und nachfolgend Rn 61.
[29] Palandt/Weidlich, § 2315 Rn 3.
[30] J. Mayer, ZEV 1996, 441.
[31] MüKo/Lange, § 2315 Rn 11.
[32] Verneinend OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 1491; OLG Schleswig ZEV 2008, 386.
[34] OLG München DNotZ 2008, 199
[35] Fröhler, BWNotZ 2010, 94, 102; MüKo/Lange, § 2315 Rn 19 m.w.N.

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