Lars Micker, Rabea Schwarz
Rz. 59
Bis Anfang 1983 wurden bei der Beantwortung der Frage, ob eine Person oder Personengruppe am Besitz- und Betriebsunternehmen mit mehr als 50 % beteiligt ist, die Beteiligungen von Ehegatten, Eltern und minderjährigen Kindern zusammengerechnet, weil widerlegbar vermutet wurde, dass nahe Angehörige gleiche Interessen verfolgen.
Rz. 60
Diese sog. Vermutungsrechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, und zwar im Wesentlichen mit dem Argument, dass eine Unvereinbarkeit mit Art. 3, 6 GG vorliegt, wenn bei der Beurteilung der personellen Verflechtung von der Vermutung ausgegangen wird, Ehegatten würden gleichgerichtete Interessen verfolgen. Eine Zusammenrechnung von Angehörigenanteilen ist daher heute nur noch möglich, wenn die Ehegatten eine Personengruppe bilden oder wenn besondere Beweisanzeichen für eine zusätzlich zur Ehe bestehende Wirtschaftsgemeinschaft zwischen den Ehegatten gegeben sind. Dies ist wiederum nur in Ausnahmefällen anzunehmen, etwa wenn die Ehegatten vereinbart haben, dass der nur am Besitzunternehmen beteiligte Ehegatte immer im gleichen Sinne stimmen muss wie der andere Ehegatte (Stimmrechtsbindung) oder wenn der Nur-Besitzgesellschafter-Ehegatte dem anderen Ehegatten eine unwiderrufliche Vollmacht zur Stimmrechtsausübung erteilt hat.
Rz. 61
Sind Ehegatten an Besitz- und Betriebsunternehmen beteiligt, kann schließlich das sog. Wiesbadener Modell zum Tragen kommen. Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen ein Ehegatte in einem Betriebsunternehmen seinen geschäftlichen Betätigungswillen durchsetzen kann und dieses Betriebsunternehmen eine wesentliche Betriebsgrundlage von dem anderen Ehegatten gemietet hat. Hier liegt keine Betriebsaufspaltung vor. In zivilrechtlicher Hinsicht ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die vertraglichen Beziehungen zwischen den Ehegatten wirksam sind. So hat der BGH im Zusammenhang mit einem Wiesbadener Modell entschieden, dass ein abgeschlossener notarieller Grundstücksnutzungs- und -übertragungsvertrag als sittenwidrig i.S.d § 138 Abs. 1 BGB anzusehen ist, wenn einer Vertragspartei ein Grundstücksübertragsanspruch zusteht, ohne dass die Interessen der sämtliche Belastungen bis zur Übertragung eingehenden und tragenden Partei durch Erhalt einer Gegenleistung gewahrt werden. Dagegen soll ein Vertrag, in dem sich ein Ehegatte verpflichtet, Grundstücke auf den anderen Ehegatten zu übertragen, nicht wegen sittenwidriger Übervorteilung nichtig sein, wenn eine Übertragung nur Zug um Zug entweder gegen Befreiung von auf den Grundstücken lastenden Darlehensverbindlichkeiten oder gegen Stellung einer entsprechenden werthaltigen Sicherheit stattfinden soll.