Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1227
Das BAG billigt dem rechtswirksam gekündigten Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen einen Wiedereinstellungsanspruch zu, wenn sich die der Entlassung zugrunde liegenden Umstände nach deren Ausspruch ändern. Bei der Entscheidung über die Rechtswirksamkeit einer Kündigung bedarf es vor dem Hintergrund des Kündigungsschutzes nämlich stets einer Prognose. Das bei allen Kündigungsgründen geltende Prognoseprinzip gründet sich auf die These, dass die Kündigungsgründe des KSchG ihrer Natur nach zukunftsbezogen sind. Geschehnisse in der Vergangenheit können für sich genommen eine Kündigung sozial nicht rechtfertigen, nachdem § 1 Abs. 2 KSchG danach fragt, ob die geltend gemachten Gründe einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen. Besondere Bedeutung kommt dieser Feststellung naturgemäß bei der personenbedingten Kündigung zu, aber auch bei verhaltensbedingten und betriebsbedingten Entlassungen erkennt das BAG seit langem das Prognoseprinzip an.
Rz. 1228
Ob ein Kündigungsgrund vorliegt, richtet sich wiederum grds. nach den objektiven Gegebenheiten im Zeitpunkt der Kündigungserklärung, was zur Folge hätte, dass bei der betriebsbedingten Kündigung der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers schon nicht mehr zur Verfügung stehen dürfte. Deshalb lässt es das BAG für die Bejahung eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes aus Gründen der Praktikabilität genügen, dass eine Betriebsstilllegung auch nur endgültig geplant ist, denn ansonsten müsste der Arbeitgeber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Annahmeverzugslohn zahlen. Der Arbeitgeber braucht mit der Kündigung nicht so lange zu warten, bis tatsächlich kein Beschäftigungsbedarf mehr besteht, sondern er kann aus betriebsbedingten Gründen auch wegen einer beabsichtigten Stilllegung oder allgemein wegen einer von ihm prognostizierten künftigen Entwicklung kündigen, sofern absehbar ist, dass zum Zeitpunkt des Ablaufes der Kündigungsfrist ein Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer nicht mehr besteht. Die Kündigung wird also mit einem erst in der Zukunft abschließend eintretenden Ereignis gerechtfertigt, dessen Eintritt mit einer vorweg anzustellenden Prognose fingiert wird (vom Stein, in: FS Willemsen, 2018, S. 575).
Rz. 1229
Der im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung erstellten Prognose ist allerdings schon begrifflich immanent, dass sie fehlerhaft sein kann. So mag bei der personenbedingten Kündigung wegen Krankheit der Arbeitnehmer unvorhergesehen völlig gesunden oder bei der betriebsbedingten Kündigung der zur Stilllegung vorgesehene Betriebsteil unerwartet weitergeführt werden. Nun ist die Kündigung die Ausübung eines Gestaltungsrechtes. Dieses Gestaltungsrecht kann nur bei Vorliegen eines im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorhandenen Kündigungsgrundes im Hinblick auf das Gestaltungsziel – Beendigung des Arbeitsverhältnisses – rechtswirksam ausgeübt werden. Ebenso wenig wie später entstehende Kündigungsgründe jedenfalls zur Rechtfertigung dieser Kündigungserklärung herangezogen werden können, hat der nachträgliche Wegfall eines Kündigungsgrundes Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kündigung. Deshalb kann bei einem nachträglichen Wegfall des Kündigungsgrundes – also bei einer Fehlprognose – ein Anspruch des Arbeitnehmers bestehen, die Wirkungen der ausgesprochenen Kündigungen wieder rückgängig zu machen und das Arbeitsverhältnis fortzusetzen (Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128). Der Erhebung einer Kündigungsschutzklage für die Geltendmachung des Anspruchs bedarf es nicht (APS/Vossen, § 1 KSchG Rn 74).