Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 480
Beleidigungen oder ehrverletzende Äußerungen ggü. dem Arbeitgeber, Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Kunden sind geeignet, das Arbeitsverhältnis gem. § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen (BAG v. 21.1.1999, AP Nr. 151 zu § 626 BGB; BAG v. 10.10.2002, EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 1). Dies gilt insb. für grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seines Vertreters, welche nach Form oder Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 77; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, Rn 22; BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/08, Rn 17; BAG v. 11.7.1991 – 2 AZR 633/90, NZA 1992, 383; BAG v. 1.7.1999, AP § 15 Nr. 11 BBiG; BAG v. 10.10.2002, EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 1; BAG v. 6.11.2003, AP Nr. 46 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung).
Rz. 481
Entsprechendes gilt, wenn ein Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen macht, namentlich wenn die Äußerungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, Rn 22). Der Arbeitnehmer vermag sich für ein derartiges Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG stützen (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 93; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, Rn 22). Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, Rn 19; BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, Rn 42, BAGE 149, 1).
Rz. 482
Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten, fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 93). Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG v. 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, Rn 18; BAG v. 8.5.2007 – 1 BvR 193/05, Rn 21; BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, Rn 42, BAGE 149, 1). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 93). Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 93; BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, Rn 42, BAGE 149, 1; BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, zu B I 2 b aa der Gründe; zu Art. 10 EMRK vgl. EGMR v. 5.11.2019 – 11608/15). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 93). Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG v. 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, Rn 18; BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 93).
Rz. 483
Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind (vgl. BVerfG v. 13.2.1996 – 1 BvR 262/91, zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1), handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist (vgl. BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfG v. 24.7.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13, Rn 18). Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deshalb, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 94). In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 94). Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufheben oder verfälschen würde (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 94). Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. BVerfG v. 4.8.2016 – 1 BvR 2619/13, Rn 13; BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19, Rn 94).
Rz. 484
Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist nicht schrankenlos gewährleistet (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, Rn 22; BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 400/05). Die Meinungsfreiheit wird gem. Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönl...