Rz. 786

Der Begriff der Personalstruktur erfasst zunächst die Altersstruktur des Betriebes. Der Arbeitgeber kann hinsichtlich der zur Sozialauswahl anstehenden Arbeitnehmer Altersgruppen bilden und dann lediglich innerhalb dieser Altersgruppen die soziale Auswahl vornehmen (BAG v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877, 878). Dabei macht das KSchG dem Arbeitgeber keine inhaltlichen oder zeitlichen Vorgaben für die Bildung der entsprechenden Altersgruppen. Ob ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis am Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur besteht, ist immer im Hinblick auf die speziellen Betriebszwecke und ggf. deren Umsetzung zu entscheiden. Der Arbeitgeber hat bei der Bildung der Altersgruppen einen gewissen Beurteilungsspielraum (BAG v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877, 878). Die Altersgruppenbildung kann auf den Bereich des Betriebes beschränkt werden, in dem nachvollziehbar eine Sicherung der Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (BAG v. 6.9.2007 – 2 AZR 387/06, NZA 2008, 405, 407).

 

Rz. 787

Die soziale Auswahl nach Altersgruppen gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG stellt im Hinblick auf die Regelung in Art. 6 Abs. 1 der RL 78/2000/EG keine unzulässige Diskriminierung nach Art. 1, 2 a der RL 78/2000/EG dar (vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 13.4.2007, LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 54; LAG Nds. v. 13.7.2007, LAGE AGG § 2 Nr. 3).

 

Rz. 788

Das BAG hat zu dieser Frage zunächst ausgeführt, dass es – unbeschadet der Frage, ob § 2 Abs. 4 AGG die Geltung des Gesetzes für Kündigungen überhaupt ausschließt – zweifelhaft erscheine, ob das AGG Altersgruppenbildung und Berücksichtigung des Lebensalters in der Sozialauswahl schlechthin verbietet (BAG v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103, 107).

 

Rz. 789

Mittlerweile hat das BAG festgestellt, dass die Diskriminierungsverbote des AGG (§§ 1 bis 10 AGG) iRd. Prüfung der Sozialwidrigkeit von Kündigungen zu beachten sind. Eine Kündigung kann sozialwidrig sein, wenn sie gegen Diskriminierungsverbote verstößt. Die Regelung des § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen (BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361).

 

Rz. 790

In der gleichen Entscheidung hat das BAG ausgeführt, dass auch die Bildung von Altersgruppen nach § 10 S. 1, 2 AGG gerechtfertigt sein kann (BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361). Das BAG hat dargelegt, die betriebs- und unternehmensbezogenen Zwecke einer Altersgruppenregelung, zu denen auch die Erhaltung der Altersstruktur gehöre, könnten legitime Ziele sein (BAG v. 6.11.2008, NZA, 361, 366). In einem solchen Fall sei die unterschiedliche Behandlung nach § 10 S. 1, 2 AGG gerechtfertigt. Die unterschiedliche Behandlung erfolge nicht mit Rücksicht auf persönliche, private oder zufällige Gesichtspunkte, sondern richte sich nach von einzelnen Personen losgelösten Kriterien innerhalb eines in sich plausiblen Systems zu bestimmten, in der Sache begründeten Proportionen. Die bisherige Verteilung der Beschäftigten auf die Altersgruppe finde ihre prozentuale Entsprechung in der Anzahl der zu Kündigenden, wodurch die Erhaltung der bisherigen prozentualen Anteile der Altersgruppen an der Gesamtbelegschaft – in etwa – erreicht werde (BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, NZA 2009, 361, 366).

 

Rz. 791

Die nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG erforderlichen Voraussetzungen einer Altersgruppenbildung müssen grds. vom Arbeitgeber im Prozess dargelegt werden (BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08, NZA 2010, 1059, 1061). Er hat aufzuzeigen, welche konkreten Nachteile sich ergäben, wenn die Sozialauswahl allein nach Maßgabe von § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG vorgenommen würde (BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08, NZA 2010, 1059, 1061; BAG v. 6.11.2008, NZA 2009, 361). Dies verlangt nicht nur darzulegen, dass sich die Altersstruktur überhaupt in nennenswertem Ausmaß nachteilig verändern würde, sondern auch aufzuzeigen, welche konkreten Nachteile sich dadurch – bspw. im Hinblick auf die Verwirklichung des Betriebszwecks – ergäben (BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08, NZA 2010, 1059, 1061; BAG v. 6.9.2007, AP Nr. 169 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Ob sich das Interesse an der Beibehaltung der bestehenden Altersstruktur aus anzuerkennenden Sachgründen ableitet, ist gerichtlich uneingeschränkt und nicht nur auf Plausibilität hin überprüfbar (BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08, NZA 2010, 1059, 1061; ErfK/Oetker, 10. Aufl., § 1 KSchG Rn 350).

Dem Arbeitgeber kommen aber Erleichterungen zugute, wenn die Altersgruppenbildung im Zusammenhang mit einer Massenentlassung i.S.v. § 17 Abs. 1 KSchG durchgeführt wird. In einem solchen Fall ist regelmäßig vom Vorliegen berechtigter betrieblicher Interessen auszugehen (BAG v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08, NZA 2010, 1059, 1062). Bei einer Massenentlassung ist typischerweise die Erhaltung der bestehenden Altersstruktur und damit verbunden die langfristige Nachwuchsplanung, die Weitergabe von Erfahrungswissen an Jüngere und die Möglichkeit, dem Betrieb die oft aktuelleren Fachkenntnisse jüngerer Arbeitnehmer zugutekommen zu lassen, gefährdet (...

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