Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 580
Das BAG geht vom Grundsatz der freien Unternehmerentscheidung aus. Daraus folgt, dass die ArbGe die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit überprüfen dürfen. Sie können lediglich prüfen, ob die Unternehmerentscheidung tatsächlich getroffen wurde und ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist, (sog. Missbrauchskontrolle, vgl. BAG v. 26.9.1996, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 86; BAG v. 26.9.2002, NZA 2003, 549; BAG v. 4.5.2006, EzA BGB § 613a Nr. 51; BAG v. 8.11.2007, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157; BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, 878, 879; BAG v. 10.7.2008, NZA 2009, 312; BAG v. 16.12.2010, NZA 2011, 505, 506). Von den ArbG nachzuprüfen ist hingegen, ob die unternehmerische Entscheidung tatsächlich vollzogen wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312, 314; BAG v. 16.12.2010, NZA 2011, 505, 506). Allerdings gelten Besonderheiten in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss quasi deckungsgleich sind. In solchen Fällen muss der Arbeitgeber konkrete Angaben dazu machen, wie sich seine Organisationsentscheidung auf die Einsatzmöglichkeiten der Arbeitnehmer auswirkt (BAG v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11, Rn 18; BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 124/11, Rn 22; BAG v. 16.12.2010 – NZA 2011, 505, 506; BAG v. 18.3.2010, NZA-RR 2011, 18, 20; BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312, 314).
Läuft die unternehmerische Entscheidung letztlich nur auf den Abbau einer Hierarchieebene hinaus, die mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben verbunden ist, bedarf es näherer Darlegungen des Arbeitgebers, damit das ArbG prüfen kann, ob der Beschäftigungsbedarf für den betroffenen Arbeitnehmer tatsächlich entfallen und die Entscheidung weder offensichtlich unsachlich noch willkürlich ist (BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312, 314; BAG v. 16.12.2010, NZA 2011, 505, 506). Der Arbeitgeber muss konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher von dem betroffenen Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben auf die zukünftige Arbeitsmenge anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können (BAG v. 13.2.2008, AP Nr. 174 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 10.10.2002, AP Nr. 123 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 16.12.2010, NZA 2011, 505, 506).
Rz. 581
Eine Unternehmerentscheidung, die rechtsmissbräuchlich lediglich das Ziel hat, die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG zu umgehen, ist willkürlich und damit unbeachtlich (vgl. § 162 BGB). Sie kann kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung gem. § 1 Abs. 2 KSchG darstellen (BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 158/04, NZA 2005, 1175, 1176). Rechtsmissbräuchlich in diesem Sinn kann es sein, wenn der Arbeitgeber parallele Betriebsstrukturen aufbaut, die dazu dienen, eine Belegschaft durch eine andere im Wege von Austauschkündigungen zu ersetzen und der bisherigen Belegschaft damit den Kündigungsschutz zu entziehen (BAG v. 26.9.2002, NZA 2003, 549). In dem vom BAG entschiedenen Fall wollte ein Arbeitgeber einen Betriebsteil durch eine noch zu gründende finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in sein Unternehmen voll eingegliederte Organgesellschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG weiterbetreiben lassen. Die Organgesellschaft sollte Arbeitnehmer neu einstellen. Nach Ansicht des BAG ist es rechtsmissbräuchlich, wenn der Arbeitgeber ein unternehmerisches Konzept zur Kostenreduktion wählt, welches faktisch nicht zu Änderungen in betrieblichen Abläufen, jedoch bei allen Arbeitnehmern der betroffenen Abteilung dazu führt, dass sie ihre Arbeitsplätze verlieren, obwohl nach wie vor ein – allenfalls reduzierter – Beschäftigungsbedarf besteht. Die gewählte Organisationsform diene in erster Linie dem Zweck, den Arbeitnehmern der betroffenen Abteilungen ihren Kündigungsschutz zu nehmen und sich von ihnen "frei" trennen zu können, um die Arbeit künftig von schlechter bezahlten Arbeitnehmern ausführen zu lassen. Hierdurch wäre der Kündigungsschutz umgangen (BAG v. 26.9.2002, NZA 2003, 549; krit. dazu v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 704).
Rz. 582
Eine rechtsmissbräuchliche Entscheidung liegt auch vor, wenn der Arbeitgeber seinen Betrieb in mehrere Teile aufspaltet, indem er separate betriebliche Organisationsstrukturen mit dem Ziel bildet, seinen Arbeitnehmern den allgemeinen Kündigungsschutz zu entziehen und ihnen dann "frei" kündigen zu können (BAG v. 12.2.2004, AP Nr. 75 zu § 1 KSchG).
Rz. 583
Verstößt eine Unternehmerentscheidung unmittelbar oder mittelbar gegen Gesetze, Tarifverträge oder Verträge oder dient sie ihrer Umgehung, ist ...