Rz. 904

Liegen die Voraussetzungen anzeigepflichtiger Massenentlassungen vor und versäumt es der Arbeitgeber gleichwohl, diese ggü. der zuständigen Agentur für Arbeit anzuzeigen, oder ist die Anzeige fehlerhaft, weil ihr bspw. die Stellungnahme des Betriebsrats nicht beigefügt ist, sie nicht alle zwingend vorgeschriebenen Angaben enthält oder sie nicht in zureichender – unterschriebener – Schriftform eingereicht worden ist, so hat dies zur Folge, dass alle anzeigepflichtigen Entlassungen bzw. nach richtlinienkonformem Verständnis alle Kündigungen unwirksam sind. Dies gilt auch für den Fall, dass die Entlassung durch einen Aufhebungsvertrag herbeigeführt werden soll (BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761 = DB 1999, 1274).

 

Rz. 905

Die Unwirksamkeit wirkt sich allerdings nur aus, wenn sich der entlassene Arbeitnehmer darauf beruft. Nach der zum 1.1.2004 in Kraft getretenen Änderung des § 4 KSchG muss auch die Unwirksamkeit der Kündigung wegen einer Verletzung der Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung im Klageweg geltend gemacht werden, ggf. nach § 6 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz. Erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer alle Unwirksamkeitsgründe spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz in den Prozess einführt (BAG v. 20.1.2016 – 6 AZR 601/14 – NZA 2016, 490).

Nimmt dagegen der Arbeitnehmer – vielleicht gegen eine finanzielle Kompensation – die Entlassung (Kündigung) hin, unterzeichnet er womöglich gar eine – nicht anfechtbare – Ausgleichsquittung, wirkt sich die an sich zur Unwirksamkeit führende Verletzung der Anzeigepflicht nicht aus. Der Verzicht auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Aufhebungsvereinbarung nach den §§ 17, 18 KSchG kann erst nach Abschluss der Aufhebungsvereinbarung – wie im Fall der Kündigung erst nach Ausspruch derselben – nicht hingegen in der Aufhebungsvereinbarung selbst wirksam vereinbart werden (BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761 = DB 1999, 1274). Die Berufung auf die zur Unwirksamkeit der Entlassung führende Verletzung der Anzeigepflicht wird allerdings dann scheitern, wenn sich der Arbeitnehmer i.S.e. Verstoßes gegen Treu und Glauben, § 242 BGB, rechtsmissbräuchlich verhält. Eine solche Ausnahmesituation hat das BAG – eine fristlose Entlassung war nicht möglich – bei schuldhafter Verletzung der Treuepflicht, insb. durch strafbare Handlungen mit erheblicher Schadensfolge für den Arbeitgeber, angenommen (BAG v. 13.3.1969 – 2 AZR 157/68, DB 1969, 1298 = BB 1969, 997).

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