Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 510
Während des Arbeitsverhältnisses ist dem Arbeitnehmer jede Tätigkeit verboten, die seinem Arbeitgeber Konkurrenz machen könnte. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Konkurrenztätigkeiten entfaltet, verstößt gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB (BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 597/16, Rn 15). Dies gilt auch dann, wenn der Einzelarbeitsvertrag dazu keine ausdrückliche Regelung enthält (BAG v. 6.10.1988, RzK I 5i Nr. 41; BAG v. 7.9.1972, AP Nr. 7 zu § 60 HGB). Der Arbeitsvertrag schließt für die Dauer seines Bestandes ein Wettbewerbsverbot ein, welches über den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich des § 60 HGB hinausgeht. § 60 HGB konkretisiert einen allgemeinen Rechtsgedanken, der seine Grundlage in der Treuepflicht des Arbeitnehmers hat. Deshalb darf ein Arbeitnehmer Dienste oder Leistungen im Marktbereich seines Arbeitgebers nicht ggü. Dritten erbringen oder anbieten (BAG v. 16.8.1990, AP Nr. 10 zu § 611 BGB Treuepflicht). Dem Arbeitnehmer ist es ebenfalls untersagt, einen Arbeitskollegen bei einer konkurrierenden Tätigkeit zu unterstützen oder einem Wettbewerber des Arbeitgebers Unterstützung zu leisten (BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 597/16, Rn 15; BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 644/13, Rn 28; BAG v. 28.1.2010 – 2 AZR 1008/08, Rn 20; BAG v. 21.11.1996, EzA § 626 BGB Nr. 162). Es handelt sich in der Regel um eine erhebliche Pflichtverletzung, die "an sich" geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 597/16, Rn 15; BAG v. 23.10.2014 – 2 AZR 644/13, Rn 27; BAG v. 28.1.2010 – 2 AZR 1008/08, Rn 20).
Rz. 511
Störungen wegen einer möglichen Konkurrenztätigkeit des Arbeitnehmers entstehen in der Praxis vor allem in einem auslaufenden oder gekündigten Arbeitsverhältnis. Solange das Arbeitsverhältnis rechtlich noch besteht, muss sich der Arbeitnehmer jeder Konkurrenztätigkeit enthalten. Davon zu unterscheiden sind bloße Vorbereitungshandlungen, die der gekündigte Arbeitnehmer trifft, um sich selbstständig zu machen und einen eigenen Geschäftsbetrieb zu gründen (vgl. auch Rdn 416). Hierzu gehören z.B. die Anmietung von Geschäftsräumen und der Ankauf von Waren. Hingegen stellt es bereits eine unzulässige Vorbereitungshandlung dar, wenn der Arbeitnehmer Kunden, die mit seinem Arbeitgeber in Geschäftsbeziehungen stehen, anschreibt oder sich auf sonstige Art und Weise mit ihnen in Verbindung setzt, selbst, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beschränkt, lediglich Kontakte herzustellen, aber noch davon absieht, Geschäfte abzuschließen (BAG v. 26.1.1995, RzK I 6a Nr. 113 und BAG v. 28.9.1989, RzK I 6a Nr. 58).
Rz. 512
Nach Ansicht des BAG kann darüber hinaus ein Kündigungsgrund auch dann vorliegen, wenn die Wettbewerbshandlungen des Arbeitnehmers im Anschluss an eine unwirksame außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers erfolgen und dem Arbeitnehmer ein Verschulden anzulasten ist zwar nach Ablauf der Kündigungsfrist, jedoch noch während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens erfolgen (BAG v. 25.4.1991, AP Nr. 104 zu § 626 BGB). Der Arbeitnehmer wird nicht schon von seinem Wettbewerbsverbot befreit, weil er die Kündigung des Arbeitgebers für unwirksam hält und sie deshalb gerichtlich angreift (BAG v. 25.4.1991, AP Nr. 104 zu § 626 BGB; BAG v. 28.1.2010, NZA-RR 2010, 461). Dies ist unabhängig davon, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Karenzentschädigung angeboten hat (a.A. LAG Köln, AP Nr. 9 zu § 75 HGB) oder er ihn vorläufig weiterbeschäftigt (BAG v. 28.1.2010, NZA-RR 2010, 461; a.A. MüKo-BGB/Henssler, § 626 Rn 124). Das wettbewerbswidrige Verhalten des Arbeitnehmers ist auch nicht wegen § 615 S. 2 BGB gerechtfertigt, da im Unterlassen vertragswidriger Konkurrenztätigkeit kein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs zu sehen ist (BAG v. 28.1.2010, NZA-RR 2010, 461).
Übt der Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses eine verbotene Konkurrenztätigkeit aus, kommt es für die Frage, ob der Arbeitgeber deshalb außerordentlich oder ordentlich kündigen darf, auf eine Interessenabwägung an. Diese wird wesentlich durch den Grad des Verschuldens geprägt, welches dem Arbeitnehmer anzulasten ist. Dabei ist auf die besonderen Umstände des Einzelfalles abzustellen. Wesentlich ist dabei, ob der Arbeitnehmer lediglich eine Übergangslösung anstrebt oder ob es ihm um eine auf Dauer angelegte Konkurrenztätigkeit geht. Es ist zudem zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer auf die wettbewerbswidrige Tätigkeit unbedingt angewiesen ist oder ob ihm eine Tätigkeit außerhalb des wettbewerbsrelevanten Bereichs möglich oder zumutbar wäre. Weiterhin maßgeblich für den Grad des Verschuldens ist der genaue Zeitpunkt der Konkurrenztätigkeit, ihre Art und ihre Auswirkungen auf den Geschäftsbereich des Arbeitgebers (BAG v. 25.4.1991, AP Nr. 104 zu § 626 BGB).