Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 627
Die Tatsachen, auf die die betriebsbedingte Kündigung gestützt wird, müssen – wie bei allen anderen Kündigungen auch – grds. zu dem Zeitpunkt vorliegen, in dem die Kündigung dem Arbeitnehmer zugeht (BAG v. 6.6.1984, DB 1984, 2704; BAG v. 18.1.2001, NZA 2001, 719; BAG v. 21.4.2005, AP Nr. 74 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl).
Rz. 628
Stützt der Arbeitgeber seine Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse, muss er jedoch nicht bis zum Abschluss der Entwicklung warten. Plant er z.B., eine bestimmte Betriebsabteilung zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu schließen, ist er nicht verpflichtet, mit dem Ausspruch der Kündigung zu warten, bis er die Betriebsabteilung tatsächlich stillgelegt hat. In einem solchen Fall kommt es darauf an, dass die Arbeitskraft des Arbeitnehmers aufgrund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung spätestens bei Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr benötigt wird (BAG v. 12.4.2002, AP Nr. 120 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 27.11.2003, AP Nr. 64 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; BAG v. 15.7.2004, NZA 2005, 523).
Rz. 629
Der Arbeitgeber muss jedoch die seiner Prognose zugrunde liegende Entscheidung bereits getroffen haben. Solange er nur erwägt oder plant, eine bestimmte Abteilung oder den gesamten Betrieb stillzulegen, den eigentlichen Entschluss aber noch nicht endgültig gefasst hat, kann er nicht wegen Wegfalls der betreffenden Arbeitsplätze kündigen (BAG v. 15.7.2004, NZA 2005, 521). Der tatsächliche Eintritt der prognostizierten Entwicklung kann nach Ausspruch der Kündigung Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit und Plausibilität der Prognose zulassen (BAG v. 27.11.2003, EZA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 128).
Rz. 630
Fallen die betrieblichen Gründe, die die Kündigung rechtfertigen, nach Zugang der Kündigung weg, etwa weil der Arbeitgeber neue Aufträge erhalten hat und seinen Betrieb fortführen kann, wird die Kündigung hierdurch zwar nicht unwirksam, der Arbeitgeber muss den geänderten Verhältnissen jedoch in zumutbarem Maße Rechnung tragen (BAG v. 27.2.1958, BB 1958, 491).
Rz. 631
Der Arbeitnehmer kann aus vertraglichen Nebenpflichten aus dem noch bestehenden Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf Wiedereinstellung bzw. Fortführung des Arbeitsverhältnisses gegen seinen Arbeitgeber haben, wenn sich zwischen dem Zugang der Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist unvorhergesehen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit entweder auf dem alten bzw. einem zwischenzeitlich frei gewordenen oder einem neu geschaffenen vergleichbaren Arbeitsplatz ergibt.
Rz. 632
Ferner kann auch ein Abfindungsvergleich einem Wiedereinstellungsanspruch entgegenstehen, selbst wenn dies nicht ausdrücklich vereinbart wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Abfindung einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich für den Verlust des sozialen Besitzstandes darstellt (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097).