Rz. 1283

Ändern sich die bei Ausspruch der Kündigung bestehenden Verhältnisse nachträglich und kommt es unvorhergesehen doch noch zu einem Betriebsübergang, ist die Konstellation identisch mit dem Wegfall des Kündigungsgrundes nach Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung. Deshalb müssen die zum Wiedereinstellungsanspruch entwickelten Voraussetzungen auch auf den Fall eines nachträglich eintretenden Betriebsübergangs anwendbar sein. Die neuere Rspr. des BAG zum Wiedereinstellungsanspruch hat mit dem Fall eines Betriebsüberganges begonnen: Die Gemeinschuldnerin vereinbarte in dem Interessenausgleich die Stilllegung des Betriebes zum 31.10.1994. Sie kündigte am 26.10.1994 fristgerecht zum 31.3.1995 wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung. Im Dezember 1994 erwarb ein anderes Unternehmen das Anlage- und Vorratsvermögen der Gemeinschuldnerin sowie das Betriebsgrundstück. Die Produktion wurde ohne Unterbrechung von der Erwerberin fortgesetzt (BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757).

 

Rz. 1284

Das BAG hat die Kündigung des Konkursverwalters nicht als sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG angesehen, weil sie im allein maßgeblichen Zeitpunkt ihres Ausspruches durch dringende betriebliche Erfordernisse, nämlich die Stilllegung des gesamten Betriebes, bedingt war. Der Beklagte hatte die zur Auflösung der Betriebs- und Produktionsgemeinschaft führenden Maßnahmen bereits eingeleitet, hatte einen Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen und Massenentlassungsanzeige erstattet. Er war zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs zur Stilllegung des Betriebes endgültig entschlossen, weil die Fortführung des Betriebes auch durch einen Betriebserwerber nicht absehbar war. Trotz der wirksamen Kündigung des Konkursverwalters hat das BAG der Klägerin wegen der noch während der Kündigungsfrist erfolgten Betriebsübernahme einen Anspruch auf Wiederbegründung der vertraglichen Hauptpflichten zuerkannt. Bei ähnlich gelagerten Fallgestaltungen hat auch das LAG Hamm einen Wiedereinstellungsanspruch bejaht (LAG Hamm v. 11.11.1998 – 2 Sa 1111/98, NZA-RR 1999, 576; BAG v. 11.5.2000 – 4 Sa 1469/99, DZWIR 2000, 457 m. Anm. Oetker). Der Ls. der Entscheidung v. 5.3.1999 lautet:

Zitat

"Wenn im Zeitraum zwischen Ausspruch einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung und dem Kündigungstermin der Kündigungsgrund durch einen Betriebsübergang nach § 613a BGB wegfällt, steht dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei einem Betriebserwerber zu."

 

Rz. 1285

Diese Rspr. lässt sich mit dem Ansatz einer Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers bei späterem Wegfall des Kündigungsgrundes in Einklang bringen. Der Erwerber tritt auch in diejenigen Arbeitsverhältnisse ein, die vor dem Übergang des Betriebs bereits ordentlich gekündigt worden waren, deren Kündigungsfrist aber erst zu einem späteren Zeitpunkt endet (BAG v. 23.9.1999, ZInsO 2000, 351; BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29; Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1130). Der Betriebserwerber tritt an die Stelle des bisherigen Arbeitgebers. Er übernimmt auch dessen Nebenleistungsverpflichtungen ggü. den gekündigten Arbeitnehmern. Zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses gehört auch die Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers ggü. den gekündigten Arbeitnehmern. Auch insoweit treffen den neuen Betriebsinhaber die gleichen Rechte und Pflichten wie den Betriebsveräußerer. Unbeschadet vertragsrechtlicher Kategorien lässt sich der Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Betriebsübergang mit einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung begründen. Die Bestandsschutzinteressen der Arbeitnehmer sind im Fall des Betriebsüberganges stärker geschützt, denn § 613a BGB gilt auch außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG. Die Annahme eines Wiedereinstellungsanspruchs auch für den Fall eines Betriebsüberganges nach Ausspruch der Kündigung gewährleistet die mit § 613a BGB bezweckte Kontinuität des Arbeitsverhältnisses trotz Wechsel des Betriebsinhabers. Der Weiterbeschäftigungsanspruch schließt eine Lücke im System des Kündigungsschutzes (Raab, RdA 2000, 159). § 613a BGB zielt gerade darauf ab, das Arbeitsverhältnis trotz Inhaberwechsels zu erhalten und zu verhindern, dass das Arbeitsverhältnis trotz Fortbestehens der Arbeitsplätze beendet wird. Der Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Betriebsübergang ist geeignet, möglichen Versuchen, die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu vermeiden oder zu umgehen, wirksam zu begegnen. Er wird daher auch in der Literatur weitgehend anerkannt (Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1129; Raab, RdA 2000, 158, 159; vom Stein, in: FS Willemsen, 2018, S. 575 ff.).

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge