Rz. 1242

Dem Versuch, den arbeitsrechtlichen Wiedereinstellungsanspruch aus einer vertraglichen Nebenleistungspflicht des Arbeitgebers abzuleiten, werden beachtliche Argumente entgegengehalten (insb. von Raab, RdA 2000, 147, 151 ff.). Nebenleistungspflichten können nicht ohne weiteres über einen Kontrahierungszwang Hauptleistungspflichten begründen, sondern dienen im Allgemeinen nur der Sicherung des geschuldeten Leistungserfolges und dem Schutz der Rechtsgüter des anderen Vertragspartners. Noch schwieriger gestaltet sich die Begründung eines Wiedereinstellungsanspruchs aus einer nachwirkenden Fürsorgepflicht, wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist, denn es ist nicht einzusehen, dass allein die jeweils geltende Kündigungsfrist eine Grenze für den Anspruch auf Wiedereinstellung bilden soll.

 

Rz. 1243

Die Lösung ist daher im KSchG selbst zu suchen. Für die Wirksamkeit der Kündigung kommt es ausschließlich auf den Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung an. Nachträgliche Veränderungen werden im Kündigungsschutzprozess nicht zur Kenntnis genommen. Bei der Anerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs geht es daher im Kern um die Gewährleistung des durch das KSchG intendierten Bestandsschutzes. Der Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes wird daher als systemimmanente Rechtsfortbildung zur Verwirklichung des gesetzlich geschützten Interesses des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses begriffen (Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128 f.; Raab, RdA 2000, 147, 151 f.). Als empfangsbedürftige Willenserklärung wird die Kündigung gem. § 130 Abs. 1 BGB mit ihrem Zugang beim Kündigungsempfänger wirksam. Ihre Gestaltungswirkung tritt sofort ein: Im Fall einer außerordentlichen Kündigung endet das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang, bei einer ordentlichen Kündigungsfrist mit Ablauf der Kündigungsfrist. Das KSchG ändert an dieser Rechtslage nichts, denn gem. § 4 KSchG muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage beim ArbG auf Feststellung erhoben werden, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Dahinter steht das Gebot der Rechtssicherheit und Verlässlichkeit.

 

Rz. 1244

Daraus resultiert ein Spannungsverhältnis zu den Bestandsschutzinteressen des Arbeitnehmers. Auf den Kündigungszeitpunkt bezogen wird festgestellt, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht zuzumuten ist. Ergeben sich nachträgliche Veränderungen, welche die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zulassen, werden die Bestandsschutzinteressen des Arbeitnehmers auf dem Altar der Rechtssicherheit geopfert. Hier hilft der Wiedereinstellungsanspruch, welcher die Wirksamkeit der Kündigung unberührt lässt, andererseits aber den gesetzlich geschützten Interessen des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses Rechnung trägt, um unter Berücksichtigung der Wertentscheidung des KSchG die im Gesetz enthaltene verdeckte Regelungslücke zu schließen (so Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128 f.; Raab, RdA 2000, 152).

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