Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 107
Im Fall einer betriebs- oder personenbedingten Kündigung sowie bei Verdachtskündigungen kann der gekündigte Arbeitnehmer unter Umständen einen Wiedereinstellungsanspruch haben. Ein Arbeitnehmer, der betriebsbedingt gekündigt wurde, kann nach der Rspr. des BAG einen Wiedereinstellungsanspruch, der seine Grundlage in § 611 BGB i.V.m. § 242 BGB findet (vgl. BAG v. 25.10.2007, AP Nr. 2 zu § 613a BGB Wiedereinstellung), geltend machen, wenn sich zwischen dem Ausspruch der Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist unvorhergesehen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ergibt (BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, AP Nr. 355 zu § 613a BGB), bspw. bei der Fortführung des Betriebes oder der Betriebsveräußerung nach einer zuvor beabsichtigten Betriebsstilllegung (BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr. 1).
Dem Wiedereinstellungsanspruch können berechtigte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, insb. wenn der Arbeitsplatz schon wieder besetzt ist und der Arbeitgeber mit dieser Neubesetzung den Wiedereinstellungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers nicht treuwidrig vereitelt hat (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097, 1098). Dies folgt auch aus dem in § 162 BGB normierten allgemeinen Rechtsgedanken, nach dem niemand aus einem von ihm selbst treuwidrig herbeigeführten Ereignis Vorteile herleiten darf (vgl. etwa BAG v. 4.5.1999 – 10 AZR 417/98, NZA 1999, 1053; BAG v. 23.2.2000 – 7 AZR 891/98, NZA 2000, 894).
Die Berufung des Arbeitgebers auf den – erneuten – Wegfall des für den Arbeitnehmer geeigneten Arbeitsplatzes kann ihm insb. dann verwehrt sein, wenn er den Arbeitsplatz in Kenntnis des Wiedereinstellungsverlangens des Arbeitnehmers treuwidrig mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt hat (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097, 1100 f.). Wenn es für einen frei gewordenen Arbeitsplatz mehrere Bewerber gibt, darf der Arbeitgeber unter diesen nicht willkürlich auswählen, sondern hat anhand betrieblicher Belange und sozialer Gesichtspunkte eine den §§ 242, 315 BGB genügende Auswahlentscheidung zu treffen (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097, 1101). Die Grundsätze des § 1 Abs. 3 KSchG lassen sich dabei nicht ohne weiteres übertragen (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097, 1101). Zum einen geht es anders als bei § 1 Abs. 3 KSchG nicht darum, wem ggü. die einseitige rechtsgestaltende Kündigungserklärung abzugeben bzw. zu unterlassen ist, sondern mit welchem Arbeitnehmer ein Vertrag zu schließen ist, der nicht nur eine Willenserklärung des Arbeitgebers, sondern auch die des Arbeitnehmers voraussetzt. Daher kommen für die Auswahlentscheidung grds. ohnehin nur die Arbeitnehmer in Betracht, die dem Arbeitgeber ggü. ihren Willen zur Wiedereinstellung bekundet haben (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097, 1101). Aber auch i.Ü. lässt sich die Frage, ob aus der Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers die Verpflichtung zur Wiedereinstellung gerade eines bestimmten Arbeitnehmers folgt, nicht allein nach den Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG, sondern gem. § 242 BGB nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantworten.
Die Berufung des Arbeitgebers auf die Neubesetzung des für den Arbeitnehmer in Betracht kommenden Arbeitsplatzes kann dem Arbeitgeber ausnahmsweise auch dann verwehrt sein, wenn er die Neubesetzung bereits vor dem Wiedereinstellungsverlangen des Arbeitnehmers vorgenommen hat, dies aber darauf beruht, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer treuwidrig nicht über die sich ergebende Beschäftigungsmöglichkeit informiert hat (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097, 1101). Allerdings lässt sich die Frage, ob der Arbeitgeber überhaupt, sowie ggf. wann und wie verpflichtet ist, gekündigte Arbeitnehmer über eine sich unvorhergesehen ergebende Beschäftigungsmöglichkeit zu informieren, nicht generell beantworten. Vielmehr richtet sich der Inhalt und Umfang einer derartigen Informationspflicht gem. § 242 BGB nach den Umständen des Einzelfalls. In diesem Zusammenhang kann ein mit dem Arbeitnehmer geschlossener Abfindungsvergleich eine wesentliche Bedeutung haben. Erhält der Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine hohe Abfindung, wird es meist nicht als treuwidrig anzusehen sein, wenn der Arbeitgeber im Hinblick hierauf die Information über eine sich unvorhergesehen ergebende Beschäftigungsmöglichkeit unterlässt (BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097, 1101).
Ein Wiedereinstellungsanspruch kommt zwar grds. nicht in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist entsteht (BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, NZA 1998, 254; BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097).
Allerdings kann ausnahmsweise ein Wiedereinstellungsanspruch selbst dann bestehen, wenn die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist entsteht. Dies kann insb. dann der Fall sein, wenn der Betrieb oder Betriebsteil, dem der Arbeitnehmer zugeordnet war, gem. ...