Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1258
Solange das Arbeitsverhältnis noch besteht, hat der Arbeitgeber die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers zu wahren. Deshalb hält das BAG einen Wiedereinstellungsanspruch grds. nur dann für gegeben, wenn der bei Ausspruch der Kündigung bestehende Kündigungsgrund noch während des Laufs der Kündigungsfrist wegfällt. Der Ls. des 7. Senats im Urt. v. 6.8.1997 (7 AZR 557/96, NZA 1998, 254) lautet:
Zitat
"Der Arbeitnehmer hat keinen Wiedereinstellungsanspruch, wenn eine betriebsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt ist und eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist entsteht."
Rz. 1259
Diesen Standpunkt hat der 7. Senat in seinem Urt. v. 28.6.2000 (7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097; ebenso BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29) bekräftigt und als Ls. verabschiedet, dass grds. kein Wiedereinstellungsanspruch besteht, wenn sich die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unvorhergesehen erst nach Ablauf der Kündigungsfrist ergibt (noch offengelassen vom 2. Senat im Urt. v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701). Für den Fall, dass ein Betriebsübergang erst nach Ablauf der Kündigungsfrist stattfindet, die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit jedoch schon während des Laufes der Kündigungsfrist entstanden ist, billigt das BAG zwischenzeitlich dem betroffenen Arbeitnehmer ausnahmsweise einen Wiedereinstellungsanspruch zu. Begründet wird dies damit, dass die Prognose in diesem Fall noch während des Laufes der Kündigungsfrist unrichtig wird (BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; s.a. BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469; dazu vom Stein, in: FS Willemsen, 2018, S. 575, 579 f.).
Rz. 1260
Das BAG hat einen Wiedereinstellungs- bzw. Fortsetzungsanspruch aber jedenfalls dann abgelehnt, wenn anlässlich einer insolvenzbedingten Kündigung der Betriebsübergang erst nach Ablauf der Kündigungsfrist stattfindet (BAG v. 13.5.2004, BAGE 110, 336; s.a. BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 359; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA 2012, 999; weitergehend nunmehr BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201). § 108 Abs. 1 S. 1 InsO, welcher als lex specialis von dem grundsätzlichen Wahlrecht des Insolvenzverwalters für gegenseitige Verträge nach § 103 InsO abweiche, sei nach seiner Teleologie eng auszulegen, um eine Aushöhlung der Insolvenzmasse durch oktroyierte Masseverbindlichkeiten zu vermeiden (BAG v. 25.5.2022 – 6 AZR 224/21, NZA 2022, 1201). Dahinter steht die Überlegung, dass im Insolvenzfall eine schnelle und sichere Abwicklung des Unternehmens geboten ist. Ein Wiedereinstellungsanspruch könnte Sanierungsbestrebungen zuwiderlaufen und wirtschaftliche Werte gefährden (vgl. Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826; Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1131; Röger/Brüggert, ZIP 2022, 2528, 2533 f.). Soweit der Betriebsübergang bewusst nach Ablauf der Kündigungsfrist stattfindet, um Wiedereinstellungsansprüche auszuschließen, ist dies unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zu würdigen (BAG v. 13.5.2004, BAGE 110, 336).
Rz. 1261
Im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer vertraglichen Grundlage zur Begründung des Wiedereinstellungsanspruches wird der Ablauf der Kündigungsfrist als zeitliche Grenze mit dem Argument gerechtfertigt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Kündigungsfrist beendet sei und damit auch die vertraglichen Pflichten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entfielen (vom Stein, in: FS Willemsen, 2018, S. 575, 581). Insoweit ist freilich anzumerken, dass selbst wenn das rechtliche Band zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages zerschnitten ist, damit doch nicht alle mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängenden Nebenpflichten enden. Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses können nachvertragliche Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme und Interessenwahrung bestehen. Für den Sonderfall der Verdachtskündigung ist anerkannt, dass ein Wiedereinstellungsanspruch entstehen kann, wenn der Arbeitnehmer erst nach Ablauf der Kündigungsfrist rehabilitiert wird (vgl. BAG v. 4.6.1964 – 2 AZR 310/63, BB 1964, 1045; Oberhofer, RdA 2006, 96). Bei der außerordentlichen Verdachtskündigung gibt es ohnedies keine Kündigungsfrist (MüKo-BGB/Henssler, § 626 BGB Rn 282; Zborowska, Die außerordentliche Verdachtskündigung, 2015, S. 326 ff.). Hier wird man mit der Grenze der allgemeinen Verwirkung zu arbeiten haben.
Rz. 1262
Begreift man den Wiedereinstellungsanspruch als Instrument zur Verwirklichung der Wertentscheidungen des KSchG, kann es auf den individuell unterschiedlichen Ablauf der Kündigungsfrist nicht ankommen. Hier führt die Anwendung vertraglicher Kategorien zu unbefriedigenden Ergebnissen. Die zeitliche Begrenzung eines Wiedereinstellungsanspruches auf den Wegfall des Kündigungsgrundes bis zum Ablauf der Kündigungsfrist hat nämlich zur Folge, dass bei älteren Arbeitnehmern mit längeren Kündigungsfristen die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass noch während des La...