Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 347
Auch die verhaltensbedingte Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn eine negative Zukunftsprognose gestellt werden kann (BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 406/03, NZA 2005, 459; BAG v. 26.1.1995, NZA 1995, 517; BAG v. 12.1.2006, NZA 2006, 980). Die verhaltensbedingte Kündigung hat keinen Sanktionscharakter (BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 179/05, NZA 2006, 980; BAG v. 19.4.2007, AP Nr. 20 zu § 174 BGB; Küttner/Eisemann, Kündigung, verhaltensbedingte Rn 6; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn 196). Der Arbeitnehmer soll mit der Kündigung nicht bestraft werden. Vielmehr macht der Arbeitgeber von seinem Recht Gebrauch, seine Ziele nur mit solchen Mitarbeitern erreichen zu wollen, die keine Vertragsbrüche erwarten lassen (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589).
Rz. 348
Entscheidend ist deshalb, ob die Gefahr besteht, dass das vertragswidrige Verhalten wiederholt wird oder ob die begangene Pflichtverletzung künftig Folgewirkungen aufweist, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als ausgeschlossen erscheinen lassen (BAG v. 4.6.1997, AP Nr. 137 zu § 626 BGB; BAG v. 12.1.2006, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67; BAG v. 19.4.2007, NZA-RR 2007, 571, 576). Grundlage für die Prognoseentscheidung ist zunächst die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers. Ist in ihr jedoch kein gravierender Verstoß zu sehen, ist eine negative Prognose regelmäßig nur möglich, wenn der Arbeitnehmer nach einer in der Vergangenheit erfolgten einschlägigen Abmahnung den Vertrag in gleicher oder ähnlicher Art erneut verletzt hat (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 818/06, NZA 2008, 589). Der Abmahnung kommt infolgedessen im Anwendungsbereich des KSchG insb. bei verhaltensbedingten Kündigungen erhebliche Bedeutung zu (BAG v. 31.5.2007, AP Nr. 57 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG v. 19.4.2007, AP Nr. 20 zu § 174 BGB). Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn 199). Wurde dem Arbeitnehmer für den Fall, dass er sein vertragswidriges Verhalten wiederholt, eine Kündigung ordnungsgemäß im Wege einer Abmahnung angedroht und lässt sich der Arbeitnehmer das beanstandete Verhalten erneut zuschulden kommen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass auch künftig mit weiteren Störungen zu rechnen sein wird (BAG v. 19.4.2007, AP Nr. 20 zu § 174 BGB).
Rz. 349
Die Abmahnung ist zugleich Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, welcher auf das gesamte KSchR Anwendung findet (BAG v. 12.1.2006, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67; BAG v. 19.4.2007, NZA-RR 2007, 571, 576). I.Ü. hat das Abmahnungsprinzip durch die seit dem 1.1.2002 geltende Vorschrift des § 314 Abs. 2 S. 1 BGB auch eine Bestätigung durch den Gesetzgeber erfahren. Nach dieser Norm ist eine Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig, wenn ein wichtiger Grund zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag besteht.