Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1171
Unkündbarkeitsvereinbarungen finden sich in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen. Die Kündigungsbeschränkung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Mit diesen Unkündbarkeitsvereinbarungen kann das Kündigungsrecht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beidseitig, einseitig für einen Vertragspartner beschränkt und auf bestimmte Kündigungsarten und Kündigungszeitpunkte wie vor oder nach Arbeitsantritt bezogen werden. Oft findet sich in Arbeitsverträgen der beidseitige Ausschluss der ordentlichen Kündigung vor Arbeitsantritt. Vor allem der an bestimmte Altersgrenzen oder Betriebszugehörigkeitszeiten gekoppelte Ausschluss der ordentlichen Kündigung seitens des Arbeitgebers ist überwiegend in Tarifverträgen geregelt. Unkündbarkeitsvereinbarungen aller Art haben in der Prozesspraxis deshalb für den Arbeitnehmer große Bedeutung, weil diese regelmäßig, in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zwingend, schriftlich niederzulegen sind. Die in einer Vertragsurkunde niedergelegten Vereinbarungen begründen die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit, sodass dem Arbeitgeber für den Nachweis der Unrichtigkeit der getroffenen Unkündbarkeitsvereinbarung die volle Darlegungs- und Beweislast obliegt. Deshalb beschränkt sich der Streit um Unkündbarkeitsvereinbarungen regelmäßig nur auf die richtige Auslegung dieser Vereinbarungen.
Rz. 1172
Greifen Unkündbarkeitsvereinbarungen ein, führt dies zu einer erheblich verstärkten Vertragsbindung, zu mehr Bestandsschutz. Im Allgemeinen unkündbare Arbeitsverhältnisse gibt es allerdings nicht: Das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist wegen des zwingenden Charakters des § 626 Abs. 1 BGB weder individualvertraglich noch kollektivvertraglich abdingbar (BAG v. 19.12.1974 – 2 AZR 565/73, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Bedingung; MünchArbR/Wank, § 117 Rn 24). Die Vorschrift enthält auch für Tarifverträge zwingendes Recht (BAG v. 19.1.1973 – 2 AZR 103/72, DB 1973, 627; BAG v. 12.2.1973 – 2 AZR 116/72, DB 1973, 1258; BAG v. 4.6.1987 – 2 AZR 422/86, DB 1988, 185).
Rz. 1173
Durch den arbeitsvertraglich vereinbarten Kündigungsausschluss entsteht keine sittenwidrige Knebelung des Arbeitnehmers i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 12 GG wegen zeitlich nicht begrenzter Bindung an den Arbeitgeber. § 624 S. 1 BGB ermöglicht es dem Arbeitnehmer ungeachtet der jederzeit bestehenden außerordentlichen Kündigungsmöglichkeit nach § 626 Abs. 1 BGB nach Ablauf von fünf Jahren mit halbjähriger Kündigungsfrist zu kündigen. Dies schützt vor übermäßiger persönlicher, beruflicher Bindung. Der Arbeitnehmer kann auf den Schutz des § 624 BGB nicht verzichten.
Rz. 1174
Ein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter durch eine arbeitsvertragliche Unkündbarkeitsregelung liegt nicht vor. Durch die Vereinbarung eines Kündigungsausschlusses kann es zu Vorteilen bei der Sozialauswahl für den begünstigten Arbeitnehmer kommen. Denn die überwiegende Auffassung steht auf dem Standpunkt, dass unkündbare Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einbezogen werden dürften (Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigungsschutz, Rn 662 m.w.N.). Aufgrund der durch das "Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz" eingetretenen Gesetzesänderung bei der Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG ist diese Wirkung ebenfalls anzunehmen. Die übrigen im selben Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer trifft aber durch diese Begünstigung der durch Unkündbarkeitsvereinbarung geschützten Arbeitnehmer keine weitere Rechtspflicht. Die Belastung der übrigen Arbeitnehmer besteht in der Verkleinerung des gem. § 1 Abs. 3 KSchG zur Sozialauswahl anstehenden Mitarbeiterkreises.
Rz. 1175
Ebenfalls bestehen keine Bedenken gegen tarifvertragliche Unkündbarkeitsregelungen. Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers wird auch bei dauerhaftem Ausschluss der ordentlichen Kündigung regelmäßig allein durch die verbleibende Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung gewahrt, jedenfalls nicht verletzt. Die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer wird einfachgesetzlich durch § 624 BGB ausreichend geschützt. Andererseits ist für den Arbeitgeber und sein Grundrecht aus Art. 12 GG klarzustellen, dass ein tarifvertraglicher Sonderkündigungsschutz nicht die Freiheit des Arbeitgebers einschränken darf, Umstrukturierungen vorzunehmen, mit denen der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden ist (BAG NZA 2015, 1315). Auch die Vergabe der Aufgaben eines einzelnen ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers ist nicht per se rechtsmissbräuchlich. Der Sonderkündigungsschutz erhöht allerdings erheblich die Anforderungen an die Bemühungen, gleichwohl die anderweitige Beschäftigung des Arbeitnehmers zu ermöglichen.
Rz. 1176
Für den tariflichen Ausschluss der Kündigung gilt im Hinblick auf die Bestimmung des auswahlrelevanten Mitarbeiterkreises bei der Sozialauswahl nichts anderes als bei arbeitsvertraglichen Unkündbarkeitsregelungen. Tariflich unkündbare Mitarbeiter sind nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen.
Rz. 1177
Sieht ein Tarifvertrag nur für bestimmte ...