Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 869
Im Anschluss an die Unterrichtung des Betriebsrats hat der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat über die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern, § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG. Die Beratungspflicht nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG entspricht der Konsultationspflicht nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 MERL. Während § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG lediglich allgemein die Beratung auf die Möglichkeiten zur Milderung der Folgen der Massenentlassungen erstreckt, präzisiert Art. 2 Abs. 2 MERL die Konsultationspflicht dahingehend, dass soziale Begleitmaßnahmen zu erörtern sind. Insbesondere sollen Maßnahmen erörtert werden, die Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben. Bereits aus der Zweiteilung von Unterrichtung und Beratung folgt, dass die Beratung mit dem Betriebsrat mehr als Auskunftserteilung und Unterrichtung erfordert (Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, § 17 KSchG Rn 74; Grau/Sittard, BB 2011, 1845, 1846). Die Beratung mit dem Betriebsrat setzt daher eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Vorschlägen des Betriebsrats zur Vermeidung oder Beschränkung der Massenentlassungen sowie deren Milderung durch soziale Begleitmaßnahmen voraus. Nimmt der Betriebsrat zu der ihm mitgeteilten beabsichtigten Massenentlassung keine Stellung, genügt der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG seiner Beratungspflicht bereits, wenn er dem Betriebsrat Verhandlungsangebote unterbreitet und, sofern der Betriebsrat hierauf eingeht, tatsächlich verhandelt (vgl. BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, ZInsO 2009, 1968; Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, § 17 KSchG Rn 74).
Rz. 870
Welchen Inhalt die Beratungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nach unionsrechtskonformer Auslegung des § 17 Abs. 2 KSchG tatsächlich haben müssen, ist bislang ebenso wenig abschließend geklärt wie die Frage, wann und unter welchen Bedingungen das Konsultationsverfahren als abgeschlossen angesehen werden kann. Mit der Junk-Entscheidung hat der EuGH insoweit lediglich klargestellt, dass der Arbeitgeber erst nach Ende des Konsultationsverfahrens und nach der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung kündigen darf (EuGH v. 27.1.2005 – Rs C 188/03, NZA 2005, 213). Was konkret unter dem Ende des Konsultationsverfahrens zu verstehen ist, hat der EuGH bisher jedoch nicht entschieden und ergibt sich auch nicht aus der Richtlinie über Massenentlassungen. Die Unterrichtungspflicht schließt nicht die Verpflichtung ein, alle dem Arbeitgeber bekannten Beschäftigungsmöglichkeiten bei anderen (Konzern-)Unternehmen mitzuteilen (LAG Hamm v. 16.8.2019 – 18 Sa 232/19, ArbRAktuell 2019, 540).