Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 446
Auch die Weigerung eines Arbeitnehmers, Mehrarbeit, z.B. an Samstagen, Sonn- oder Feiertagen zu leisten, kann eine die Kündigung rechtfertigende Arbeitsverweigerung sein. Eine Arbeitspflichtverletzung liegt aber nicht vor, wenn die Mehrarbeit unzulässig ist, weil sie die gesetzlich oder tariflich zulässigen Höchstarbeitszeiten überschreitet. Vom Arbeitgeber angeordnete Mehrarbeit kann der Arbeitnehmer auch dann ablehnen, wenn dieser die gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrates zur Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit nicht eingeholt hat. Nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung führt nämlich die Nichtbeteiligung des Betriebsrates zur Unwirksamkeit der Anordnung. Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei der Anordnung von Mehrarbeit um einen kollektiven Tatbestand handeln muss. Ordnet der Arbeitgeber an, dass eine Schreibkraft länger bleiben soll, um ein eiliges Schreiben zu korrigieren, kann es sich um eine mitbestimmungsfreie Einzelfallregelung handeln. Bei der Anordnung von Mehrarbeit hat der Arbeitgeber i.R.d. Zumutbarkeit gem. § 106 S. 1 GewO allerdings auch die Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen und bei seiner Entscheidung abzuwägen, ob er andere Mitarbeiter zur Mehrarbeit heranziehen kann, wenn der betroffene Arbeitnehmer z.B. familiäre Verpflichtungen anführt, die ihm die Leistung von Mehrarbeit am Wochenende unzumutbar machen. Der Arbeitgeber kann i.Ü. vom Arbeitnehmer nur dann Mehrarbeit verlangen, wenn dieser dazu im Einzelarbeitsvertrag oder durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung verpflichtet ist. Die Anordnung von Mehrarbeit muss im Einzelfall gem. § 106 S. 1 GewO billigem Ermessen entsprechen, d.h. insb. dem Arbeitnehmer zumutbar sein (ArbG Göttingen v. 12.8.1955, AP Nr. 11 zu § 1 KSchG). Der Arbeitgeber muss prüfen, ob der Arbeitnehmer im Fall einer Ablehnung der von ihm verlangten Mehrarbeit triftige Gründe anführt. Neben den bereits genannten familiären Verpflichtungen können auch gesundheitliche Gründe oder andere persönliche Gründe ebenso wie die Ankündigungsfrist (der Arbeitnehmer hat sich auf einen Wochenendausflug eingerichtet und erfährt freitags, dass er samstags arbeiten soll) eine Rolle spielen.
Rz. 447
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Arbeitgeber grds. eine angemessene Ankündigungsfrist einhalten muss. Dabei kann die Frist des § 12 Abs. 2 TzBfG, nach welcher der Arbeitnehmer nur zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt, ein Anhaltspunkt sein (ArbG Frankfurt am Main v. 26.11.1998, LAGE § 626 BGB Nr. 125). Für Teilzeitarbeitnehmer wird die Leistung von Überstunden im Hinblick auf die meistens bestehenden familiären Verpflichtungen häufig unzumutbar sein (KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 437; Berkowsky, NZA-RR 2001, 10). Allerdings sind Teilzeitarbeitnehmer genau wie Vollzeitarbeitnehmer in Notfällen zur Leistung von Überstunden verpflichtet (LAG Schleswig-Holstein v. 26.6.2001, EzA-SG 2001 Nr. 20, S. 6).
Rz. 448
Wird eine Kündigung auf die Weigerung des Arbeitnehmers gestützt, angeordnete Mehrarbeit zu leisten, gilt folgendes Prüfungsschema:
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Ist der Arbeitnehmer durch Arbeitsvertrag oder durch Tarifvertrag verpflichtet, Mehrarbeit zu leisten? |
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Ist die angeordnete Mehrarbeit kollektivrechtlich unbedenklich, d.h. ist ggf. die Zustimmung des Betriebsrates erforderlich und eingeholt? |
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Überschreitet die verlangte Mehrarbeit die gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeiten? (ArbZG und für Kraftfahrer oder Beifahrer EWG-VO 3820/85). |
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Entspricht die verlangte Mehrarbeit billigem Ermessen gem. § 106 S. 1 GewO? |