Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 166
Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 167 Abs. 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 SGB IX) ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine personenbedingte Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen (BAG v. 25.1.2018 – 2 AZR 382/17, Rn 50; BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 720/14, Rn 76, BAGE 153, 138; BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 1012/06, EzA KSchG § 1 Krankheit Rn 55; BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, EzA SGB IX § 84 Rn 3). Allerdings stellt die Vorschrift des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 SGB IX) auch keinen bloßen Programmsatz dar oder eine reine Ordnungsvorschrift mit bloßem Appellativcharakter (BAG v. 25.1.2018 – 2 AZR 382/17, Rn 50; BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 182/06, Rn 26, BAGE 120, 293). Sie konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen der Prüfung des § 1 Abs. 2 KSchG bzw. § 626 Abs. 1 BGB (BAG v. 25.1.2018 – 2 AZR 382/17, Rn 50; BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 720/14, Rn 76, BAGE 153, 138; BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, EzA SGB IX § 84 Rn 3; BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 182/06, Rn 27, BAGE 120, 293). Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ist ferner keine formelle oder unmittelbare materielle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Umsetzung oder einer anderen Weisung durch den Arbeitgeber (BAG v. 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, Rn 33). Das gilt selbst dann, wenn seine Anordnung (auch) auf Gründe gestützt wird, die mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers im Zusammenhang stehen (BAG v. 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, Rn 33; BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 47/17, Rn 26).
Rz. 167
Versäumt es der Arbeitgeber, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, kann dies Folgen für die Darlegungs- und Beweislast haben. I.R.d. Prüfung, ob die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers sich nachteilig auf den Betrieb des Arbeitgebers auswirken, kann sich der Arbeitgeber, der es versäumt hat, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, ggf. nicht pauschal darauf berufen, ihm seien keine anderen Einsatzmöglichkeiten für den Arbeitnehmer bekannt, die seiner Erkrankung angemessen wären (BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, EzA SGB IX § 84 Rn 3, vgl. im Einzelnen Rdn 169).
Rz. 168
Das BAG hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass eine Kündigung zwar noch nicht allein wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden kann, weil ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt wurde. Es müssten vielmehr auch bei gehöriger Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-) Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten (BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, EzA SGB IX § 84; vgl. auch Welti, NZS 2006, 623, 626; vgl. für das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX: BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 182/06, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; Düwell, BB 2000, 2570, 2573; Pahlen, AR-Blattei SD 1440.1 Rn 167 f.). Im Umkehrschluss folge daraus weiter, dass ein unterlassenes betriebliches Eingliederungsmanagement einer Kündigung dann nicht entgegensteht, wenn diese auch durch das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht hätte verhindert werden können.
Rz. 169
Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen trägt, die die Kündigung bedingen. Dazu gehört auch die Darlegung fehlender – alternativer – Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Arbeitgeber konnte nach der früheren Rspr. zunächst pauschal behaupten, es bestehe keine andere Beschäftigungsmöglichkeit für einen dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer. Diese pauschale Behauptung umfasste auch den Vortrag, es bestehe keine Möglichkeit einer leidensgerechten Anpassung des Arbeitsverhältnisses bzw. des Arbeitsplatzes. Der Arbeitnehmer musste in diesem Fall dann konkret darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine andere Beschäftigungsmöglichkeit – an einem anderen Arbeitsplatz – vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben kann (BAG v. 26.5.1977 – 2 AZR 201/7, AP Nr. 14 zu § 102 BetrVG 1972).
Rz. 170
Hat nunmehr jedoch der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, darf er sich nach der neueren Rspr. durch seine dem Gesetz widersprechende Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen (BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, EzA SGB IX § 84; vgl. zu § 81 SGB IX: BAG v. 4.10.2005 – 9 AZR 632/04, BAGE 116, 121). Er kann sich daher auch nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine "freien Arbeitsplätze", die der erkrankte Arbeitnehmer aufgrund seiner Erkrankung noch ausfüllen könne. Es bedarf vielmehr eines umfassenderen konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers einerseits zu der Frage, warum der Arbeitnehmer auf seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr eingesetzt werden kann ...