Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 871
Eine Einigung mit dem Betriebsrat ist nach Auffassung des BAG nicht erforderlich (vgl. BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 84/07, ZInsO 2008, 1153; BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175). Sowohl § 17 KSchG als auch Art. 2 MERL sehen, so das BAG v. lediglich Konsultationen mit dem Betriebsrat vor. Weitere Verfahren im Fall des Scheiterns der Verhandlungen der Betriebsparteien sind nicht notwendig. Das BVerfG hält die Auffassung des BAG unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH und der Massenentlassungsrichtlinie zwar für vertretbar, betont aber, dass der Ablauf der Beteiligung des Betriebsrats im Massenentlassungsverfahren von der Rechtsprechung des EuGH noch nicht erschöpfend geklärt und die Frage nach dem Ende des Konsultationsverfahrens offen ist (vgl. BVerfG v. 25.2.2010 –1 BvR 230/09, ZInsO 2010, 865).
Rz. 872
Hinweis
Bis zur Klärung der Frage durch den EuGH, ob ein formaler Abschluss der Verhandlungen Voraussetzung für die Erfüllung der Beratungspflicht nach § 17 Abs. 2 KSchG bzw. Art. 2 MERL ist, sollte die Massenentlassungsanzeige daher erst dann erstattet werden, wenn eine Einigung mit dem Betriebsrat erzielt wurde oder er das Ende des Konsultationsverfahren bestätigt.
aa) Stellungnahme des Betriebsrats
Rz. 873
Das Konsultationsverfahren ist abgeschlossen, wenn der Betriebsrat dies erklärt oder auf eine weitergehende Information oder Beratung verzichtet. Die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG stellt daher einen formalen Abschluss des Konsultationsverfahrens dar. Dies gilt unabhängig vom Inhalt der Stellungnahme des Betriebsrats, solange diese folgenden Anforderungen erfüllt: Notwendig ist erstens eine eindeutige Meinungsäußerung des Betriebsrats zu den beabsichtigten Entlassungen. Zweitens ist die Aussage erforderlich, dass der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte nach § 17 Abs. 2 KSchG als gewahrt ansieht. Und drittens muss es sich um eine abschließende Stellungnahme handeln (vgl. BAG v. 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, ZInsO 2012 1278). Letztlich muss es aber dem Betriebsrat überlassen bleiben, wie er die Stellungnahme gestaltet (vgl. Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, § 17 KSchG Rn 115). Mangels gesetzlicher Vorgaben genügt deshalb bereits eine bloße Ablehnung oder Zustimmung des Betriebsrats den Anforderungen einer Stellungnahme (vgl. KR/Weigand, § 17 KSchG Rn 144). Ausreichend ist auch die eindeutige Äußerung des Betriebsrats, keine Stellung nehmen zu wollen (vgl. BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, BB 2012, 2567).
bb) Ersatz der Stellungnahme
Rz. 874
Verständigen sich die Betriebsparteien auf einen Interessenausgleich mit Namensliste, wird damit zugleich auch das Konsultationsverfahren i.S.d. § 17 Abs. 2 KSchG und des Art. 2 MERL abgeschlossen. Denn der Interessenausgleich mit Namensliste ersetzt gem. § 125 Abs. 2 InsO im Insolvenzfall und gem. § 1 Abs. 5 S. 4 KSchG außerhalb der Insolvenz die Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG (vgl. BAG v. 18.1.2012 – 6 AZR 407/10, ZInsO 2012, 803). Durch den Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste wird somit auch das Konsultationsverfahren formal abgeschlossen. Einer gesonderten, neben den Verhandlungen zum Interessenausgleich erfolgenden Beratung nach § 17 Abs. 2 KSchG bedarf es hierfür nicht (Grau/Sittard, BB 2011, 1845, 1847).
Rz. 875
Ein Interessenausgleich ohne Namensliste kann die nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats dagegen nicht ersetzen. Der Verzicht auf die Beifügung einer Stellungnahme des Betriebsrats bei Erstattung der Massenentlassungsanzeige ist nur in den beiden in § 1 Abs. 5 S. 4 KSchG und § 125 Abs. 2 InsO gesetzlich zugelassenen Ausnahmefällen möglich (BAG v. 21.3.2012 –6 AZR 596/10, ZInsO 2012, 1278). Für den Interessenausgleich ohne Namensliste fehlt eine entsprechende gesetzliche Anordnung. § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG erfordert jedoch keine Stellungnahme des Betriebsrats in einem separaten Dokument. Möglich und zulässig ist es daher, die Stellungnahme des Betriebsrats in einen Interessenausgleich ohne Namensliste zu integrieren und diesen statt einer separaten Stellungnahme gemeinsam mit der Massenentlassungsanzeige der Agentur für Arbeit einzureichen (BAG v. 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, ZInsO 2012, 1278).