Rz. 694

Eine Sozialauswahl ist grds. bei allen betriebsbedingten Kündigungen durchzuführen. Dies gilt gem. § 2 S. 1 KSchG auch für betriebsbedingte Änderungskündigungen (BAG v. 18.10.1984, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl). Nach dem Gesetzeswortlaut ist eine Sozialauswahl nur bei einer ordentlichen Kündigung durchzuführen. Ist aber ausnahmsweise eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung zulässig, weil der betreffende Arbeitnehmer ordentlich unkündbar ist, sind die Maßstäbe der Sozialauswahl entsprechend heranzuziehen (BAG v. 5.2.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB).

 

Rz. 695

Bei personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen scheidet eine Sozialauswahl demgegenüber aus (BAG v. 23.9.1992, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 37). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG, der sich nur auf betriebsbedingte Kündigungen bezieht.

 

Rz. 696

Entschließt sich der Arbeitgeber, seinen Betrieb in mehreren Etappen stillzulegen, hat er gleichwohl eine Sozialauswahl bei den etappenweise ausgesprochenen Kündigungen durchzuführen (BAG v. 16.9.1982, AP Nr. 4 zu § 22 KO; BAG v. 10.1.1994, AP Nr. 8 zu § 1 KSchG Konzern; BAG v. 10.10.1996, RzK I 5d Nr. 55). In einem solchen Fall hat der Arbeitgeber aber das Recht, für die verbleibenden Abwicklungsarbeiten vorrangig sozial stärkere Arbeitnehmer weiterbeschäftigen, wenn hierdurch Einarbeitungszeiten vermieden werden können (BAG v. 10.1.1994, AP Nr. 8 zu § 1 KSchG Konzern).

 

Rz. 697

Will der Arbeitgeber hingegen seinen Betrieb oder Betriebsteil "schnellstmöglich" vollständig stilllegen und kündigt er daher allen Arbeitnehmern mit der jeweils anwendbaren Kündigungsfrist, ist eine Sozialauswahl nicht erforderlich (BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 447/04, NZA 2005, 1351, 1353). Würden die ggf. noch zu erledigenden Abwicklungsarbeiten im Betrieb nach sozialen Gesichtspunkten und nicht nach der Dauer der jeweiligen Kündigungsfrist verteilt, würde dies lediglich zu einer längeren Kündigungsfrist bei sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmern führen (BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 447/04, NZA 2005, 1351, 1353), diesen jedoch nicht den Arbeitsplatz erhalten. § 1 Abs. 3 KSchG bezweckt jedoch nicht die Verlängerung der (tarif)vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist, sondern die längerfristige Erhaltung des Arbeitsplatzes (BAG v. 7.3.2002, NJOZ 2003, 1364, 1366). Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Verlängerung der Kündigungsfristen der sozial schwächeren Arbeitnehmer einen Arbeitskräfteüberhang verursachen würde, zu dessen Hinnahme aber der Arbeitgeber auch nicht nur vorübergehend gem. § 1 Abs. 3 KSchG verpflichtet ist (BAG v. 7.3.2002, NJOZ 2003, 1364, 1366).

 

Rz. 698

Die Grundsätze der Sozialauswahl sind auch bei Kündigungen durch einen Insolvenzverwalter zu beachten. Hier besteht allerdings gem. § 125 S. 1 Nr. 2 InsO die Möglichkeit, den gerichtlichen Kontrollmaßstab für die Sozialauswahl zu senken, indem mit dem Betriebsrat eine Liste vereinbart wird, in der die zu entlassenden Arbeitnehmer aufgeführt sind.

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