Rz. 192

Falls der Arbeitnehmer dauerhaft leistungsunfähig ist, hat er grds. kein schützenswertes Interesse an der Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses. Regelmäßig überwiegt dann das Interesse des Arbeitgebers an einer Beendigung des sinnentleerten Vertragsverhältnisses (BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Auch besondere persönliche Umstände aufseiten des Arbeitnehmers rechtfertigen i.d.R. keine abweichende Beurteilung (BAG v. 21.2.1985 – 2 AZR 72/84, RzK I 5 g Nr. 10). In der genannten Entscheidung hat das BAG einem 50 Jahre alten, ausländischen Arbeitnehmer, der Invalide und einem studierenden Kind zur Unterhaltszahlung verpflichtet war, die Berufung auf einen Ausnahmefall abgelehnt.

 

Rz. 193

Steht die dauerhafte Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers fest, ist dieser aber aus tariflichen Gründen ordentlich nicht mehr kündbar, kommt unter Umständen eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund infrage – wobei i.d.R. eine soziale Auslauffrist einzuhalten ist. Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit kann als wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht kommen (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 288/13, Rn 17). Dem Arbeitgeber ist jedoch in der Regel die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten, und bereits eine ordentliche Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit unterliegt einem strengen Maßstab (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 288/13, Rn 17). Eine außerordentliche Kündigung kommt daher nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 26; BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 627/99, zu II 3 der Gründe, BAGE 96, 65). Das Arbeitsverhältnis stellt ein auf stetigen Leistungsaustausch gerichtetes Rechtsverhältnis dar (BAG v. 25.11.2010 – 2 AZR 984/08, BAGE 136, 213). Ist der Leistungsaustausch auf Dauer umfassend gestört, weil der Arbeitnehmer aufgrund seiner Erkrankung auf unabsehbare Zeit keine Arbeitsleistung mehr erbringen wird, kann eine Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt sein. Deren Unwirksamkeit kann sich dann in der Regel nur noch aus der Abwägung der wechselseitigen Interessen ergeben (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 288/13, Rn 18; BAG 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, zu II 5 c der Gründe, BAGE 101, 39). Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt in Betracht, wenn der wichtige Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darin liegt, dass der Arbeitgeber wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung andernfalls gezwungen wäre, für Jahre an einem sinnentleerten Arbeitsverhältnis festzuhalten (BAG v. 21.4.2016 – 2 AZR 609/15, Rn 29; BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 288/13, Rn 28; BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 28; BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12, Rn 16). Ist das Arbeitsverhältnis noch ordentlich kündbar, scheidet eine außerordentliche Kündigung – auch eine solche mit Auslauffrist – allerdings von vornherein aus (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 288/13, Rn 28). Eine ordentliche Kündbarkeit in diesem Sinne ist jedoch nicht schon dann gegeben, wenn eine tarifvertragliche Regelung das Recht des Arbeitgebers zur ordentlichen Kündigung grundsätzlich ausschließt, im Einzelfall aber die Möglichkeit vorsieht, das Arbeitsverhältnis "bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien" ausnahmsweise doch ordentlich zu kündigen (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 288/13, Rn 29). Die hypothetische Möglichkeit einer solchen Zustimmung lässt den Sonderkündigungsschutz nicht entfallen (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 288/13, Rn 29). Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung bleibt bestehen, solange die Zustimmung nicht vorliegt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Tarifregelung selbst einen solchen Vorrang nicht begründet (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 288/13, Rn 29).

 

Rz. 194

Bei einer außerordentlichen Kündigung ist der Prüfungsmaßstab allerdings auf allen drei Prüfungsstufen erheblich strenger (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 28). Er muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 28; BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 616/99, zu II 4 b der Gründe). Die prognostizierten Fehlzeiten und die sich aus ihnen ergebende Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen müssen deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen könnte (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 28). Es bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 825/12, Rn 20; BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 28). Schon eine ordentliche Kündigung wegen einer Leistungsminderung erfordert, dass die verbliebene Arbeitsleistung die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers in einem Maße unterschreitet, dass ihm ein Festhalten an dem (unveränderten) Arbeitsvertrag unzumutbar ist (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 825/12, Rn 20; BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, zu B III 2 d der Gründe, BAGE 109, 87). Für die außerordentliche Kündigung gilt dies in noch höherem Maße (BA...

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