Rz. 699

Im Unterschied zur Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den von einer Kündigung bedrohten Arbeitnehmer, die nicht nur auf denselben Betrieb, sondern auch auf andere Betriebe desselben Unternehmens zu erstrecken ist (§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1b KSchG), erfolgt die soziale Auswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG lediglich betriebsbezogen und nicht unternehmensbezogen (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 36; BAG v. 15.12.1994 – 2 AZR 320/94, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 76 = NZA 1995, 413). Im öffentlichen Dienst tritt an die Stelle des Betriebes die Dienststelle (vgl. im Einzelnen Lingemann/Grothe, NZA 1999, 1072, 1075). Regelmäßig sind deshalb alle vergleichbaren Arbeitnehmer in die Auswahlentscheidung einzubeziehen, die in demselben Betrieb wie der Arbeitnehmer beschäftigt sind, der unmittelbar von der Kündigung bedroht ist. Dies gilt sogar dann, wenn der Arbeitgeber sich ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten hat (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 36; BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, Rn 16, BAG EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 77). Zum einen würde eine betriebsübergreifende Versetzungsklausel ansonsten als Vertrag zulasten Dritter wirken (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, Rn 26). Zum anderen besteht für Arbeitnehmer anderer Betriebe kein auf ihren Beschäftigungsbetrieb bezogenes Erfordernis, das eine Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen könnte (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, Rn 26; BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, Rn 16, BAGE 123, 1). Damit ist das Kündigungsrisiko im Sinn einer gegenseitigen "Verdrängung" strikt auf solche Arbeitnehmer begrenzt, die in demselben Betrieb beschäftigt sind (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, Rn 26). Zwar kann auch eine rechtsträgerübergreifende Sozialauswahl vorzunehmen sein, wenn mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb führen (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Damit wird der Betriebsbezug der Sozialauswahl aber nicht aufgegeben, sondern wegen der einheitlichen Betriebsstruktur gerade aufrechterhalten (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, Rn 26). Indes scheidet eine unternehmensübergreifende "Verdrängung" aus, wenn der gemeinsame Betrieb bei Zugang der Kündigung aufgelöst ist oder feststeht, dass er bei Ablauf der Kündigungsfrist stillgelegt sein wird (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, Rn 26). Mangels gemeinsamer Leitungsstruktur ist der Unternehmer des stillzulegenden Betriebs dann nicht mehr rechtlich in der Lage, eine Weiterbeschäftigung im fortgeführten Betrieb des anderen Unternehmens durchzusetzen (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 38/19, Rn 26; BAG v. 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, Rn 53; BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, Rn 35).

Aus der Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl ergibt sich zudem, dass sie nicht auf Betriebsteile oder Betriebsabteilungen beschränkt werden kann, insbesondere steht der Notwendigkeit einer betriebsbezogenen Sozialauswahl nicht schon die räumliche Entfernung einzelner Filialen eines Bezirks entgegen (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 36).

 

Rz. 700

Eine Sozialauswahl ist auch dann durchzuführen, wenn sich der Arbeitgeber einerseits zu einer Teilbetriebsstilllegung und andererseits zu einem Betriebsteilübergang entschließt (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 37; BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, zu II 3 b der Gründe, BAG EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 56; APS/Kiel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rn 501; KR/Griebeling, 10. Aufl., § 1 KSchG Rn 611). Bei einer betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers des stillzulegenden Betriebsteils sind bei der Sozialauswahl auch diejenigen vergleichbaren Arbeitnehmer zu berücksichtigen, die zur Zeit der Kündigung dem später zu übertragenden Betriebsteil angehören. Das Kündigungsverbot in § 613a Abs. 4 S. 1 BGB schließt die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer in dem stillzulegenden und dem später übergehenden Betriebsteil nicht aus (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 37; BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, zu II 3 c der Gründe). Die Vorschriften der § 613a Abs. 4 BGB und § 1 Abs. 3 KSchG stehen gleichwertig nebeneinander (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 37; BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, zu II 3 c aa der Gründe).

 

Rz. 701

Arbeitnehmer anderer Betriebe eines Unternehmens oder eines Konzerns sind nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen (BAG v. 13.6.1985, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG m. Anm. Wiedemann; BAG v. 15.12.1994, AP Nr. 66 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 15.12.2005, AP Nr. 76 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl). Das gilt auch, wenn sich der Arbeitgeber ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten hat (BAG v. 15.12.2005, AP Nr. 76 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl; BAG v. 18.10.2006, AP Nr. 163 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 31.5.2007, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl). Hierdurch ist der Arbeitgeber lediglich verpflichtet, den Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens weiterzubeschäftigen (ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn 318). Gleichermaßen ist aber auch die Beschränkung der Sozialauswahl auf die Mit...

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