Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 996
Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf jede außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes der Zustimmung des Betriebsrates. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen, kann ein Zustimmungsverfahren grds. nur für die Kündigung Wirksamkeit entfalten, für die es eingeleitet worden ist. Dies gilt insb. dann, wenn der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten Kündigung vorsorglich erneut kündigt. Ist die erste Kündigung ordnungsgemäß zugegangen, greift die ausdrückliche Pflicht des § 103 Abs. 1 BetrVG ein. Zu einer erneuten, lediglich vorsorglichen Kündigung ist erneut die Zustimmung des Betriebsrates einzuholen (BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 3/96, EzA § 103 BetrVG Nr. 37).
Rz. 997
Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat die Gründe für die außerordentliche Kündigung deutlich genug mitzuteilen. Denn die Rspr. lässt im Beschlussverfahren zur Ersetzung der Zustimmung die Verwendung von Gründen nicht zu, die dem Betriebsrat nicht mitgeteilt waren und deshalb nicht von ihm berücksichtigt werden konnten (BAG v. 22.8.1974 – 2 ABR 17/74, NJW 1975, 181; BAG v. 27.5.1975 – 2 ABR 125/74, EzA § 103 BetrVG Nr. 9). Der Arbeitgeber genügt seiner Informationspflicht zum Kündigungsgrund nach § 102 BetrVG, wenn er zunächst zutreffend oder irrtümlich ein Verfahren nach § 103 BetrVG einleitet und den Betriebsrat entsprechend unterrichtet, im Kündigungsschutzprozess aber zweifelsfrei feststeht, dass ein Schutz nach § 103 BetrVG nicht besteht und es nur einer Anhörung nach § 102 BetrVG bedarf (BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 275/04, NZA 2005, 1064; BAG v. 8.6.2000 – 2 ABR 1/00, NZA 2000, 899).
Rz. 998
Die materiell-rechtliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt auch im Regelungsbereich der §§ 15 KSchG, 103 BetrVG. Innerhalb der Zwei-Wochen-Frist hat der Arbeitgeber alles Erforderliche zu tun, um die außerordentliche Kündigung auszusprechen.
Rz. 999
Für den Beginn der Ausschlussfrist kommt es auch im Regelungsbereich des § 103 BetrVG auf die sichere und möglichst vollständige positive Kenntnis des Kündigungsberechtigten von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen an. Bei der Arbeitgeberkündigung gehören zum Kündigungssachverhalt auch die für den Arbeitnehmer sprechenden Umstände, die regelmäßig ohne dessen Anhörung nicht hinreichend berücksichtigt werden können. Solange der Kündigungsberechtigte zur Aufklärung des Sachverhaltes dem Kündigungsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, ist die Ausschlussfrist gehemmt. Jedoch muss der Kündigungsgegner innerhalb einer kurz bemessenen Frist angehört werden, die regelmäßig nicht länger als eine Woche sein darf (BAG v. 10.12.1992 – 2 ABR 32/92, EzA § 103 BetrVG Nr. 33).
Rz. 1000
Der Arbeitgeber muss innerhalb der so zu bestimmenden 2-Wochen-Frist den Antrag auf Zustimmung beim Betriebsrat stellen. Dies muss darüber hinaus so rechtzeitig geschehen, dass unter Einhaltung der Frist des § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG auch noch die Zustimmung beim ArbG innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB beantragt werden kann. Auch der Antrag gem. § 103 Abs. 2 BetrVG auf Ersetzung der Zustimmung durch das ArbG muss noch innerhalb der 2-Wochen-Frist beim ArbG eingehen (BAG v. 7.5.1986 – 2 ABR 27/85, EzA § 103 BetrVG 1972 Nr. 31; BAG v. 10.12.1992 – 2 ABR 32/92, EzA § 103 BetrVG Nr. 33). Ein vor der Zustimmungsverweigerung des Betriebsrates vom Arbeitgeber vorsorglich gestellter Antrag auf Zustimmungsersetzung ist unzulässig und wird auch nicht mit der Zustimmungsverweigerung zulässig (BAG v. 7.5.1986 – 2 ABR 27/85, EzA, § 103 BetrVG Nr. 31). Ein solcher Zustimmungsersetzungsantrag, der unheilbar unzulässig ist, kann auch die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht wahren (BAG v. 24.10.1996 – 2 AZR 3/96, EzA § 103 BetrVG Nr. 37).
Rz. 1001
Die Entscheidung über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erfolgt durch Beschl. des Betriebsrates. Das betroffene Betriebsratsmitglied kann nicht mitstimmen. Es ist auch nicht berechtigt, an der Beratung über den Kündigungsantrag des Arbeitgebers in der entsprechenden Betriebsratssitzung teilzunehmen. Nimmt das betroffene Betriebsratsmitglied an der entsprechenden Betriebsratssitzung teil, ist der Beschl. nichtig. Ein Ersatzmitglied tritt insoweit an seine Stelle und ist zu laden (BAG v. 23.8.1984 – 2 AZR 391/83, NZA 1985, 254).
Rz. 1002
Will der Arbeitgeber allen Mitgliedern des Betriebsrates außerordentlich kündigen, so muss er, wenn keine ausreichende Anzahl an Ersatzmitgliedern vorhanden ist, die Zustimmung des Betriebsrates einholen. Das einzelne betroffene Betriebsratsmitglied kann bei der Beschlussfassung über seine Kündigung nicht an der Sitzung teilnehmen oder gar mitstimmen. Bei den anderen Beschlussfassungen ist es dagegen teilnahme- und stimmberechtigt (BAG v. 25.3.1976 – 2 AZR 163/75, NJW 1976, 2180).
Rz. 1003
Steht der Betriebsobmann aus der Sicht des Arbeitgebers zur Kündigung an, so ist die Zustimmung des Ersatzmitgliedes erforderlich. Ist ein Ersatzmi...