Rz. 821

Gem. § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG hat der Arbeitnehmer die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen. Die Darlegungs- und Beweislast ist jedoch nach der Rspr. des BAG aufgrund der in § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 KSchG geregelten Mitteilungspflicht sowie dem allgemeinen prozessualen Grundsatz aus § 138 ZPO abgestuft (BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302, 1306). Danach gelten folgende Grundsätze:

 

Rz. 822

Bei Unkenntnis der für die Sozialauswahl rechtserheblichen Tatsachen genügt der Arbeitnehmer zunächst seiner Darlegungslast, wenn er pauschal die soziale Auswahl beanstandet und den Arbeitgeber auffordert, die Gründe mitzuteilen, die diesen zu der getroffenen Auswahl veranlasst haben. Im Umfang seiner materiell-rechtlichen Auskunftspflicht geht damit die Darlegungslast auf den Arbeitgeber über. Als auskunftspflichtige darlegungsbelastete Partei hat der Arbeitgeber sodann die Gründe darzulegen, die ihn (subjektiv) zu der Auswahl veranlasst haben, die er getroffenen hat.

 

Rz. 823

Kommt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nicht nach, ist der Arbeitnehmer von einem weiteren substantiierten Bestreiten befreit (APS/Kiel, § 1 KSchG Rn 788). Bereits das einfache Bestreiten einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ist schlüssig (BAG v. 21.7.1988, NZA 1989, 264).

 

Rz. 824

Kommt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast hingegen vollständig nach, so hat der Arbeitnehmer wieder die volle Darlegungs- und Beweislast für eine objektiv fehlerhafte Auswahlentscheidung (BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302, 1306). Der Arbeitnehmer muss dann unter Angabe von Gründen auch Kollegen benennen, die seiner Ansicht nach weniger schutzwürdig sind und denen daher an seiner Stelle hätte gekündigt werden müssen (BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 473/05, NZA 2007, 504, 507). Eine Auswahl "von Amts wegen" durch das Gericht würde demgegenüber möglicherweise zu dem Ergebnis führen, dass die Auswahl gerade auf einen Arbeitnehmer fällt, den der klagende Arbeitnehmer unter keinen Umständen verdrängen wollte (BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 473/05, NZA 2007, 504, 507).

 

Rz. 825

An diesen Grundsätzen ändert sich auch nichts, wenn es nur auf den Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit i.S.v. § 1 Abs. 5 S. 3 KSchG ankommt (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, Rn 46; BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, Rn 29; BAGE 116, 213; BAG v. 21.2.2002 – 2 AZR 581/00, zu B I 5 b der Gründe; BAG EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 10, zu § 1 Abs. 5 KSchG aF). Es ist zunächst Sache des Arbeitnehmers, die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen, falls er über die notwendigen Informationen verfügt (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, Rn 46). Soweit er hierzu nicht in der Lage ist und deswegen den Arbeitgeber zur Mitteilung der Gründe auffordert, die ihn zu der Auswahl veranlasst haben, hat dieser als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 KSchG auch im Prozess substantiiert vorzutragen (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, Rn 46). Seine sich aus der Mitteilungspflicht ergebende Vortragslast ist grundsätzlich auf die subjektiven, von ihm tatsächlich angestellten Auswahlüberlegungen beschränkt (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, Rn 46). Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf die vollständige Auflistung der Sozialdaten aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, Rn 46; BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 796/05, Rn 38, BAG EzA KSchG § 2 Nr. 64)

 

Rz. 826

Es kann sich aber unter Umständen bereits aus den Angaben des Arbeitgebers ergeben, dass das Auswahlverfahren objektiv nicht den gesetzlichen Anforderungen der sozialen Auswahl entsprochen hat, bspw. wenn er vorträgt, er habe sich keine Gedanken über die Auswahl des Kündigungsadressaten gemacht (BAG v. 15.6.1989, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl) oder er habe den auswahlrelevanten Personenkreis verkannt (BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33, 36). Bei einer derartigen Fallgestaltung braucht der Arbeitnehmer zunächst nichts weiter darzulegen, vielmehr spricht eine vom Arbeitgeber auszuräumende tatsächliche Vermutung dafür, dass auch die Auswahlentscheidung objektiv fehlerhaft und damit die Kündigung sozialwidrig ist (BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302, 1306; BAG v. 31.5.2007, NZA 2008, 33, 36). Der Arbeitgeber muss dann näher darlegen, dass trotz Durchführung eines gegen § 1 Abs. 3 KSchG verstoßenden Auswahlverfahrens gleichwohl der gekündigte Arbeitnehmer nach dem Maßstab des § 1 Abs. 3 KSchG nicht fehlerhaft ausgewählt worden ist (BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, NZA 2005, 1302, 1306; BAG v. 31.5.2007, NZA 2008, 33, 36).

 

Rz. 827

Ist eine Sozialauswahl überhaupt nicht oder methodisch fehlerhaft durchgeführt worden, ist die Kündigung nicht aus diesem Grund unwirksam, wenn mit der tatsächlich getroffenen Auswahl des Gekündigten eine – sei es auch zufällig – objektiv vertretbare Auswahl getroffen wurde (BAG v. 27.6.2019 – 2 AZR 50/19, Rn 27). Die Darlegungslast dafür, dass und aus welchen Gründen soz...

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