Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1273
Im Fall einer personenbedingten Kündigung wegen Krankheit kommt ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht, wenn sich die bei Kündigungsausspruch angestellte Gesundheitsprognose nachträglich als falsch erweist, weil
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die Ärzte sich geirrt und eine falsche Diagnose gestellt haben, |
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der Arbeitnehmer sich einer Operation unterzieht oder eine sonstige Heilmaßnahme durchführt, die zu einer baldigen Wiederherstellung seines Gesundheitszustandes führt, |
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der Arbeitnehmer sich z.B. bei einer Suchterkrankung nach Ausspruch der Kündigung zu einer Therapie entschließt, |
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der tatsächliche Gesundheitsverlauf nach Ausspruch der Kündigung zur Korrektur der Gesundheitsprognose nötigt. |
Rz. 1274
Während bei einer betriebsbedingten Kündigung ein Wiedereinstellungsanspruch auch von der Literatur ganz überwiegend bejaht wird, ist er bei Vorliegen einer wirksamen krankheitsbedingten Kündigung nicht ganz so eindeutig (dafür MüKo-BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn 151; Oberhofer, RdA 2006, 94; Plocher, DB 2015, 2083, 2088; dagegen Preis, Anm. zu LAG Köln v. 10.1.1989, LAGE § 611 BGB Einstellungsanspruch Nr. 1). Das BAG hat anklingen lassen, dass ein Wiedereinstellungsanspruch grds. auch bei der krankheitsbedingten Kündigung in Betracht zu ziehen ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die bei Ausspruch der Kündigung begründete Besorgnis langanhaltender oder dauerhafter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr gerechtfertigt ist und der Wiedereinstellung berechtigte Interessen des Arbeitgebers insb. wegen zwischenzeitlicher anderweitiger Dispositionen nicht entgegenstehen (BAG v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, NZA 1999, 1328; BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, NZA 2001, 1135). Sowohl der 2. als auch der 7. Senat des BAG halten es in jedem Fall nicht für ausreichend, wenn die negative Prognose nachträglich erschüttert oder zweifelhaft wird. Für das Entstehen eines etwaigen Wiedereinstellungsanspruches sei vielmehr erforderlich, dass die Besorgnis der wiederholten Erkrankung ausgeräumt und von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen sei. Dafür trägt der Arbeitnehmer die Beweislast. Als weitere Voraussetzung muss hinzukommen, dass die nachträgliche überraschende grundlegende Besserung des Gesundheitszustandes bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eintritt (BAG v. 27.6.2001 – 7 AZR 662/99, NZA 2001, 1135).
Rz. 1275
Man kann allerdings bezweifeln, ob die Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers bei nachträglicher Korrektur der Gesundheitsprognose einen Wiedereinstellungsanspruch in allen denkbaren Fällen zu begründen vermag. Dies wird man bei objektiver Fehlprognose sicherlich annehmen können, fraglich wird dies aber dann, wenn die Gesundheitsprognose maßgeblich vom Willen oder vom Verhalten des Arbeitnehmers abhängt. Schließlich geht es i.d.R. bei einer krankheitsbedingten Kündigung darum, dass der Arbeitgeber den Arbeitsplatz neu besetzen will. Ist dies geschehen, kann ihm schon deshalb die Wiedereinstellung des gekündigten Arbeitnehmers trotz veränderter Prognose unzumutbar sein. Insgesamt erscheinen die rechtlichen Begründungsmöglichkeiten daher nur bedingt tragfähig, um trotz Wirksamkeit der krankheitsbedingten Kündigung wegen nachträglich veränderter Umstände in allen Fällen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einen Wiedereinstellungsanspruch anzunehmen.