Rz. 307
Eine von den Arbeitsvertragsparteien über den Inhalt eines Zeugnisses geführte außergerichtliche oder gar gerichtliche Auseinandersetzung darf aus der Fassung des Zeugnisses nicht zu entnehmen sein. Eine Bezugnahme auf das Urteil, das dem Arbeitgeber die Zeugnisberichtigung aufträgt, ist daher im Zeugnis ebenso wenig erlaubt wie eine Andeutung, dass außergerichtlich ein Streit über seinen Inhalt bestanden hat, und dass der Arbeitgeber sich im Vergleichswege mit dem Arbeitnehmer oder seinem Anwalt oder seiner Gewerkschaft auf eine Neufassung geeinigt hat. Diese Grundsätze gelten für die Erstausstellung eines Zeugnisses entsprechend, sodass auch von daher gesehen die Unterzeichnung eines Zeugnisses durch einen freiberuflich tätigen Rechtsanwalt unzulässig ist (LAG Hamm v. 17.6.1999 – 4 Sa 2587/98, MDR 2000, 590, 591).
Rz. 308
Von den Fällen der (inhaltlichen) Zeugnisberichtigung sind die Fälle zu unterscheiden, in denen der Arbeitnehmer die Neuausstellung eines (inhaltlich richtigen und nicht beanstandeten) Zeugnisses begehrt. Trägt das Originalzeugnis des Arbeitnehmers den Eingangsstempel einer Gewerkschaft oder eines Rechtsanwaltes, ist der Arbeitgeber kraft seiner nachvertraglichen Fürsorgepflicht verpflichtet, auf Kosten des Arbeitnehmers ein neues Zeugnis zu erteilen (LAG Hamm v. 15.7.1986, LAGE § 630 BGB Nr. 5 = EzBAT § 61 BAT Nr. 12). Gleiches gilt in anderen Fällen, in denen das Zeugnis beschädigt worden oder verloren gegangen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Beschädigung oder der Verlust des Originalzeugnisses von dem Arbeitnehmer zu vertreten ist. Entscheidend ist vielmehr allein die Frage, ob dem früheren Arbeitgeber die Ersatzausstellung des Zeugnisses noch zugemutet werden kann, insb. ob er anhand (noch) vorhandener Personalunterlagen ohne großen Arbeitsaufwand das Zeugnis neu schreiben lassen kann (LAG Hamm v. 15.7.1986, LAGE § 630 BGB Nr. 5 = EzBAT § 61 BAT Nr. 12). Bei der erforderlichen Abwägung des Interesses der Beklagten an der Abgeschlossenheit des Vorganges einerseits und des Arbeitnehmers auf Vollständigkeit seiner Arbeitspapiere ist zu berücksichtigen, dass dem Arbeitnehmer durch das Fehlen eines ordnungsgemäßen Zeugnisses erhebliche Nachteile auf den Arbeitsmarkt entstehen können, während der frühere Arbeitgeber, und nur er, ohne nennenswerte Schwierigkeiten in der Lage ist, diese Nachteile abzuwenden. In einem solchen Fall wäre es grob unbillig, dem Arbeitnehmer den Anspruch auf Erteilung einer Ersatzausfertigung des Zeugnisses zu verweigern (LAG Hamm v. 15.7.1986, LAGE § 630 BGB Nr. 5 = EzBAT § 61 BAT Nr. 12).
Rz. 309
Auf der gleichen Ebene liegt es, wenn eine transsexuelle Person von dem früheren Arbeitgeber die Neuerteilung eines Zeugnisses mit geändertem Vornamen bzw. mit geändertem Geschlecht begehrt. Selbst dann, wenn die Personalakte der transsexuellen Person infolge Zeitablaufes vernichtet sein sollte, kann ihr der Arbeitgeber die Neuerteilung eines Zeugnisses nicht unter Berufung auf Verwirkung verweigern, weil das ursprünglich erteilte Zeugnis zurückzugeben ist, der Arbeitgeber es mithin also ohne jegliche inhaltliche Überprüfung nur hinsichtlich des geänderten Geschlechtes und des geänderten Namens der transsexuellen Person und der sich daraus ergebenden grammatikalischen und rechtschreibmäßigen Abänderungen "umformulieren" muss (LAG Hamm v. 17.12.1998 – 4 Sa 1337/98, DB 1999, 1610 = NZA-RR 1999, 455). Der Anspruch der transsexuellen Person auf Neuerteilung eines Zeugnisses mit geändertem Vornamen bzw. mit geändertem Geschlecht folgt aus der nachvertraglichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Deren Umfang ergibt sich aus § 242 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und § 5 TSG. Art. 2 Abs. 1 GG schützt i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG die engere persönliche Lebenssphäre, insb. auch den Intim- und Sexualbereich, und gewährleistet das Recht des Einzelnen, grds. selbst zu bestimmen, aus welchem Anlass und in welchen Grenzen er persönliche Lebenssachverhalte offenbart. Dem Schutz dieser Rechtsgüter dient auch das TSG (LAG Hamm v. 17.12.1998 – 4 Sa 1337/98, DB 1999, 1610 = NZA-RR 1999, 455).
Rz. 310
Die sog. kleine Lösung des § 1 TSG (bloße Vornamensänderung) soll der besonderen Situation transsexueller Personen schon vor einer geschlechtsanpassenden Operation oder bei Verzicht auf operative Eingriffe Rechnung tragen und es ihnen ermöglichen, auch schon vor der irreversiblen "großen Lösung" des § 8 TSG frühzeitig in der Rolle des anderen Geschlechtes aufzutreten, mithin in der ihrem Empfinden entsprechenden Geschlechtsrolle zu leben, ohne sich im Alltag Dritten und Behörden ggü. offenbaren zu müssen. Die sog. "kleine Lösung" ist mit der Zielsetzung Gesetz geworden, den transsexuellen Personen vor allem beim Arbeitsplatzwechsel, bei der Arbeitsplatzsuche und im Sozialbereich, die Möglichkeit zu geben, die Identitätsfindung wenigstens zu einem Teil zu erreichen (LAG Hamm v. 17.12.1998 – 4 Sa 1337/98, DB 1999, 1610 = NZA-RR 1999, 455, m.w.N.).
Rz. 311
Da über einen Arbeitnehmer nur ein...